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Kultur: Entspannung mit Yoga und Megafon Freistil-Konzert

im Nikolaisaal

Stand:

So hat man das Foyer des Nikolaisaals noch nie gesehen: In dichten Reihen liegen schmale Matten auf blauem Grund. Davor stehen ein E-Piano und ein Cello sowie Lautsprecher an den Seiten. Das erste Konzert der neuen Reihe Freistil war überraschend schnell ausverkauft. Für den innovativen Abend mit Yoga und Musik haben sich fünfzig Teilnehmerinnen zwischen geschätzt 30 und 60 Jahren eingefunden, darunter gerade mal zwei männliche Wesen.

Zünftig gekleidet sitzen sie nun plaudernd im angenehm warmen Raum, beleuchtet von sehr hellen Scheinwerfern, die erst während der musikalischen Phase etwas gedimmt werden. Zuerst einmal gibt es 75 Minuten Yoga unter der Anleitung von Lisa Stepf. Seit mehreren Jahren praktiziert die Musikerin und Yogalehrerin dieses neue Konzertformat, unter anderem in der Luxemburger Philharmonie. Vorkenntnisse braucht man dabei keine. So geht es zur Sache mit dem Hund und der Kobra zum Sonnengruß und wie die einschlägigen Übungen lauten. Lisa Stepf, die über eine angenehme Stimme verfügt, und ihre beiden Begleiterinnen machen die Übungen vor und alle folgen aufmerksam. Eine Entspannungspause gibt es schon mittendrin, bevor das abschließende Shavasana Körper und Geist auf das folgende Konzert vorbereiten soll.

Welche Musik zu dieser Situation der kollektiven Trance, die etwas von schöner neuer Welt an sich hatte, am besten passt, ist schon eine Frage wert. Sicherlich reagiert man nach solch konzentrierten Körperübungen in der Stille sensibler auf Außenreize aller Art. Mehr noch als im herkömmlichen Konzertsaal ist man hier zugleich zur Bewegungslosigkeit verpflichtet, denn keiner möchte ja den Nachbarn stören. Dazu kommt, dass man das Ohr als einziges und ältestes Sinnesorgan nicht einfach abschließen kann. So wird man Geräuschen aller Art einfach ausgeliefert, besonders, wenn man dicht an dicht und inmitten vieler anderer auf der Matte liegt. Wenig überraschend entwickeln sich zunächst aus kaum hörbaren Pling-Pling-Tönen rhythmische und tonale Patterns, bei denen die Minimal Music Pate steht. Der ohnehin meditative Charakter dieser Musik passt ganz gut zur esoterischen Liegeposition.

Unangenehm wird es erst, als die ostinaten Grundmuster zunehmend lauter aus den Lautsprechern scheppern. Aus Gründen der Konzertdramaturgie muss es wohl mal etwas dramatischer zugehen. Lisa Stepf streicht nun das Cello mit großem Ausdruck, während Insa Rudolphs Sopranstimme vom anfänglichen Säuseln und Summen in inbrünstig klagendem Katzenjammer kulminiert, auch mal mit Megafon verstärkt. Da ist es mit der Entspannung schnell vorbei. Dazu wandern die Dominas der Klangeffekte mit Cello, Kalimba und Spieluhr zwischen den Reihen umher und achten darauf, dass auch ja niemand verschont wird. Kurz vor Schluss erklingt das Finale aus Franz Schuberts Winterreise „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh ich wieder aus“. Damit ist der Gipfel der wachsenden Befremdung erreicht: Wie soll es möglich sein, zu diesen tieftraurigen Klängen, zu dieser Klang gewordenen Depression noch weiter entspannt im Hier und Jetzt zu schweben? So wundert es nicht mehr, wenn man im Finale mit einer Eigenkomposition von Insa Rudolph die Worte vernimmt: „Wo ist das Ende der Reise, wo die Antwort auf die Frage ist?“ Mit offenen Fragen endet der sportlich-spirituelle Abend, der mit einer sensibleren Musikauswahl sicherlich weniger disparat gewirkt hätte. Babette Kaiserkern

Babette Kaiserkern

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