Kultur: „Er hat jedem ein Angebot gemacht“
Ein Gespräch mit Jens Bisky über „unseren König“ Friedrich II. – Buchvorstellung am Donnerstag in der Reithalle den Legenden über Friedrich werden wir nie einfach loskommen kann.“ Er war dann doch ein ungeheuer skrupelloser Herrscher und Mensch gewesen.“
Stand:
Herr Bisky, „Unser König“ haben Sie Ihr Buch über Friedrich II. betitelt. Ist diese Zuschreibung „unser“ eher ironisch oder doch ernst gemeint?
Es ist natürlich beides. Auf der einen Seite ist das selbstverständlich kein Manifest einer royalistischen Verschwörung, sondern ein Titel, der für Irritationen und Distanzierung sorgen soll. Auf der anderen Seite gibt es aber auch ein Grund in der Sache und der besteht darin, dass die Deutschen über keinen anderen König so viel gestritten und geschrieben haben, wie über Friedrich II. Wann immer es in der deutschen Geschichte einen Wendepunkt gegeben hat, kann man eigentlich wetten, dass auch über Friedrich und seine Rolle in der Geschichte gestritten worden ist. Zuletzt 1991, als seine Überreste nach Potsdam zurückgekehrt sind.
Was prädestiniert ausgerechnet Friedrich II., dass immer wieder der Bezug zu ihm hergestellt wird?
Er hat jedem ein Angebot gemacht. Friedrich II. ist ja eine ungeheuer vielgestaltige Figur. Wir haben da den rebellischen Kronprinzen, den glänzenden jungen König, den Flötenspieler, den Philosophen, den Angriffskrieger, den Feldherrn und den Alten Fritz als einsame, schrullige Figur in Potsdam mit einer besonderen Liebe zu seinen Hunden. Da konnte sich jeder etwas aussuchen.
Und auf der politischen Ebene?
Friedrich ist 1786 gestorben. Wenig später bricht die Französische Revolution aus und die Diskussion über die Französische Revolution und über das Erbe Friedrichs haben sich hier in Deutschland sehr schnell miteinander verbunden. Bei einigen lief das etwas zugespitzt auf die These hinaus, die Franzosen mögen Grund haben ihren König zu köpfen, wir sind so vernünftig regiert worden, dass dies nicht nötig ist. Das führte dann dazu, dass Friedrich immer wieder als ein idealer Herrscher, als ein Mann bemüht worden ist, der allein durch Vernunft geleitet regiert hat, um so ein Gegenbild zu den Herrschern die im folgten zu finden. Als 1851 das Reiterdenkmal Friedrichs Unter den Linden aufgestellt wurde, kursierten bald schon die berühmten Verse: „Lieber Friedrich steig hernieder und regier die Preußen wieder. Lass in diesen schweren Zeiten lieber Friedrich Wilhelm reiten.“ Damit war Friedrich Wilhelm IV. gemeint, der künstlerisch sehr begabt, politisch aber leider etwas abseitig war. Dieser Vers hat eine erstaunliche Haltbarkeit bewiesen. Ich kenne ihn noch aus DDR-Zeiten, wo es dann hieß: „Lass in diesen schweren Zeiten lieber olle Erich reiten.“
Ist in dieser Verklärung der Monarchie der wiederkehrende Wunsch nach einer starken Hand zu erkennen?
Nicht nur. Es gibt natürlich eine starke antidemokratische Tradition in der Beschäftigung mit Friedrich. Er ist vor allem im Kaiserreich als Feldherr sehr populär geworden. Auch in den 20er und 30er Jahren wurde er bemüht, damit die antidemokratischen, die antirepublikanischen Kräfte seelische Erbauung in der Beschäftigung mit diesem Preußenkönig finden konnten. Es gab daneben aber auch eine fortschrittlichere, wenn man es verkürzt sagen will, ein linke Tradition der Beschäftigung mit Friedrich. Da ist er dann der Herrscher der Aufklärung, der durch Vernunft regiert, der auf die Gleichbehandlung seiner Untertanen achtet und sich um das Wohlergehen des gesamten Landes kümmert. Man muss natürlich sagen, dass beiden Zuschreibungen mit dem Friedrich des 18. Jahrhunderts nur bedingt etwas zu tun haben. Das sind spätere Idealisierungen und Glorifizierungen.
Trotzdem auch heute noch „Unser König“. Diese Zuschreibung provoziert eine Nähe, die nach Aktualität fragen lässt. Ist heute noch etwas zeitgemäß an diesem Preußenkönig, der vor 300 Jahre geboren wurde?
Ich bin immer sehr vorsichtig, wenn es um solche Aktualisierungen geht. In der „Zeit“ ist er vor zwei Wochen noch einmal als Herrscher der Vernunft und der Toleranz ausgerufen worden. Man kann ihn in eine solche Tradition stellen, wenn man sich bewusst macht, dass es bei Friedrichs Toleranzgedanken keineswegs um Menschenrechte ging. Bei ihm war das ein älterer Gedanke der Duldung gewesen. Ich zögere, ihn direkt in die Gegenwart zu stellen und zu sagen, man könne da irgendetwas lernen.
Warum fällt Ihnen das so schwer?
Weil wir in einer Situation leben, in der wir uns zum ersten Mal überhaupt ganz unbefangen mit Friedrich beschäftigen können. Es gibt niemanden mehr, der versucht, geschichtspolitisch mit ihm irgendeinen Unsinn anzustellen.
Besteht in diesem Jubiläumsjahr endlich die Chance für eine wirklich kritische Auseinandersetzung mit Friedrich II.?
Eine kritische Auseinandersetzung hat es ja immer gegeben. Es ist keineswegs so, dass er nur glorifiziert worden ist. Es gab das schon eine ziemlich stolze Tradition zu seinen Lebzeiten, schließlich beginnt die deutsche Nationalliteratur mit einem friedrichkritischen Stück, mit „Minna von Barnhelm oder Das Soldatenglück“ von Lessing. Es gab dann weitere große Friedrichkritiker. Ich will hier nur zwei nennen: Franz Mehring, den tapferen sozialdemokratischen Historiker, der Friedrich kritisiert, als Mut dazu gehörte, also unter Wilhelm II. Und in der Weimarer Republik war dies Werner Hegemann, der die Antidemokraten, die sich auf Friedrich beriefen, immer verspottet hat.
Und heute?
Wir können ihn endlich betrachten ohne eine schwarze oder eine güldene Friedrichlegende zu stricken. Wir können ihn wirklich als historische Figur des 18. Jahrhunderts zur Kenntnis nehmen.
Friedrich II. war ein Meister der Selbstinszenierung. Besteht in diesem Jahr der intensiven Auseinandersetzung mit „unserem König“ die Chance, unter all den Legenden und Mythen andere Facetten sichtbar zu machen?
Ich glaube, die Chance besteht. Obwohl man von den Legenden nie ganz einfach loskommen kann. Man muss sich immer mit ihnen beschäftigen, weil diese Legenden schon zu seinen Lebzeiten entstanden sind und Friedrich sehr viel dafür getan hat, sein Bild für die Nachwelt festzuschreiben. Deswegen hat er eine Geschichte des Hauses Brandenburgs verfasst und seiner Zeit verfasst. Deswegen hat er sich auch immer wieder in politische Händel gestürzt. „Unser König“ heißt dann aber auch, dass er auf besondere Weise versucht hat als Person und Kraft seines Charakters die Untertanen zu beherrschen. Das war nicht einzigartig aber in der Konsequenz für diese Zeit etwas Neues. Dass er neben dem Zeremoniell, das er nur ab und an benutzt hat, vor allem darauf setzte, durch die Lande zu reisen, sie zu inspizieren und dann drei, vier nette Sätze zu seinen Untertanen zu sagen. Auch wenn diese von seinen Reisen und seinen Sätzen wenig profitiert haben dürften. Aber immerhin ist der Eindruck entstanden, da gäbe es in Berlin einen Herrscher, der sich um die Menschen kümmert. Im Feld hat er, und er war regelmäßig dabei, im Gegensatz zu anderen Herrschern seiner Zeit, die Soldaten geduzt. Er hat schon auf ein persönlicheres Verhältnis zu den von ihm Beherrschten Wert gelegt, auch wenn dabei wieder vieles inszeniert war.
Auch wenn Herrschaft immer Inszenierung bedeutet: Sind Sie bei Ihrer intensiven Beschäftigung mit den Quellen irgendwann an den Punkt gekommen, an dem Sie das Gefühl hatten, hier erkenne ich jetzt den wahren, maskenfreien Friedrich?
Zu meiner Überraschung an keiner einzigen Stelle. Christopher Clark, der große Preußenhistoriker, hat es mal sehr schön gesagt: Friedrich ist eine hochgradig künstliche Figur. Der spielte eigentlich immer Rollen und er war schon durch sein Aufwachsen unter dem despotischen Vater dazu angehalten, Verstellungskünste zu entwickeln. Vielleicht fasst man Friedrich als Person dann doch am besten im Briefwechsel mit seinem Faktotum Fredersdorf, der dank seines schönen Gesichtes Kammerherr bei Friedrich geworden ist. Ein Briefwechsel, in dem man ab und zu das Gefühl hat, ja hier spürt man etwas von Friedrich. Der sorgt sich um diesen Fredersdorf, gibt ihm Tipps, was er gegen seine Krankheiten machen könne und erzählt von seinen eigenen Zipperlein. Dieser Briefwechsel ist eigentlich so eine Art Pflichtlektüre für Hypochonder.
Es ist oft von Brüchen im Leben Friedrich II. die Rede. Brüche, mit denen wir zu erklären versuchen, warum aus dem musisch veranlagten Kronprinzen der Feldherr wurde. War die Hinrichtung seines Freundes Katte ein so einschneidendes Erlebnis, dass es zu einem solchen Bruch kam?
Die Hinrichtung Kattes am 6. November 1730 war ein dramatisches Ereignis. Es gibt einen Streit darüber, ob Friedrich das wirklich mitansehen musste oder nicht. Auf jeden Fall saß er allein in der Festung Küstrin und wusste nicht, wie es mit ihm weitergeht. Sein Freund wurde hingerichtet und das ist Belastung genug. Wie er das überstanden hat, ist mir ein Rätsel. Aber wenig später ist er schon wieder „lustig wie ein Buchfink“, wie der Kammerdirektor Hille schrieb und schmiedet Pläne, wie er berühmt werden kann. Und ich glaube nicht, dass es zwischen dem Ruhm als Philosoph, als Autor und dem Ruhm als Feldherr einen Gegensatz für Friedrich gegeben hat. Im Gegenteil, dies sind zwei Wege, die einander ergänzen und einander vertreten können. Und natürlich haben die harten politischen Fakten immer eine größere Rolle gespielt als seine musischen Neigungen. Friedrich hob, kaum das er den Thron bestiegen hatte, zwar bis auf wenige Ausnahmefälle die Folter auf. Zur selben Zeit aber beschließt er die Truppenstärke in Preußen noch einmal zu erhöhen. Das macht er schon, bevor die Nachricht vom Tod Karl VI. eintrifft, die ihm die Gelegenheit gibt, in Windeseile in Schlesien einzufallen. Es ist also von dem Moment an, wo Friedrich auf den Thron sitzt, klar, dass er auf das Militär setzen wird und dass er es nutzen wird.
Also verwirrt dieses Verhalten nur die Generationen der Nachgeboren, war Friedrichs Verhalten typisch für einen Herrscher des 18. Jahrhunderts?
Doch, in dieser Konsequenz war es auch für einen König des 18. Jahrhunderts sehr ungewöhnlich. Natürlich gab es zu dieser Zeit bei nahezu jeder strittigen Erbangelegenheit einen Erbfolgekrieg, das späte 17. und das frühe 18. Jahrhundert sind voll von Erbfolgekriegen. Aber dieser Angriff auf den Kaiser, zu dessen Reich Brandenburg gehörte und in dessen Reich Friedrich Kurfürst war, war schon von besonderer Schärfe. Ich glaube, diese Idee, zwischen dem musisch veranlagten Friedrich und dem Feldherrn einen Widerspruch zu sehen, versucht diesen Schrecken zu beruhigen, den man angesichts Friedrichs empfinden kann. Denn er war dann doch ein ungeheuer skrupelloser Herrscher und Mensch gewesen. Er benutzte seine Untertanen, seine Soldaten als Instrumente seines eigenen Ruhmes. Er glaubte nicht an eine Vorsehung, an ein Leben im Jenseits oder an ein Gericht, vor dem er sich einmal wird verantworten müssen. Er war ganz in die Diesseitigkeit gebannt. Weder die Tradition noch Familie noch Freunde noch ein Glauben bannten ihn. Er war ganz und gar ein Schöpfer seiner selbst. Das ist natürlich eine schreckliche und imponierende Erscheinung zugleich. Um diesen Schrecken zu bahnen hat man begonnen, von Widersprüchen und Gegensätzen zu reden.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Jens Bisky stellt am kommenden Donnerstag, dem 19. Januar, „Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit – Ein Lesebuch“ (Rowohlt Berlin, 19,95 Euro), um 19.30 Uhr in der Reithalle in der Schiffbauergasse vor. Der Eintritt kostet 8, ermäßigt 6 Euro. Kartenreservierung unter Tel.: (0331) 98 11 8
Jens Bisky, geb. 1966 in Leipzig, studierte Kulturwissenschaften und Germanistik und ist Feuilletonredakteur der Süddeutschen Zeitung. 2007 veröffentlichte er „Kleist. Eine Biographie“. kip
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