Kultur: Er war ein wunderlicher, großer Mensch
In der Bibliothek: Schillers Orte und Landschaften, der Dichter einmal anders
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In der Bibliothek: Schillers Orte und Landschaften, der Dichter einmal anders Wer ein Schiller-Jahr ausrufen darf und wer ihm folgt, soll hier erst gar nicht erörtert werden, der Marbacher ist schließlich nicht Storm. Fest steht, dass es diesen Anlass gibt, mithin Gelegenheit, als Kind des Volkes der Dichter und Denker einen seiner „wunderlich-großen“ Heroen zu ehren, wie Goethe den Freund und Rivalen kurz nach dessen Ableben nannte. Kein Ort ist dafür besser geeignet als, na klar, die Bibliothek, und so folgte man donnerstags gerne der so klugen wie lebendigen Veranstaltung am Platz der Einheit, seinem Todesjahr als Jubiläum zugeeignet. Eine sehenswerte Foto-Ausstellung war in der Stadt- und Landesbibliothek zu vernissieren, welche Schillers Lebenswege gleichsam als Topologie vieler Ortswechsel verdeutlicht. Stille und ästhetische Aufnahmen zeigen alles, was dem Heroen in seinem Dasein „baulich“ begegnet ist, das Geburtshaus in Marbach, die ungeliebte „Militär-Pflanzschule“ des Herzogs Karl Eugen von Württemberg, welcher der stürmende und emotional überhitzte Dichter der „Räuber“ im September 1782 entfloh, das Gut der Wolzogens im thüringischen Bauerbach, Körners Sitz in Gohlis bei Leipzig, Dresden und Jena, Weimar und Berlin. Wo der Jubilar starb, wurde die Fotografin dieser Arbeiten, Christel Wollmann-Fiedler, geboren, in Thüringen. Sie folgte bereits Goethes Spuren bis nach Sizilien, Fontanes märkischen Tritten über die hiesige Erde, nun auch denen Johann Christoph Friedrich Schillers, Station um Station, Landschaft um Landschaft. Wie bei ihren früheren Fahrten, sollte auch diese Foto-Serie publiziert werden, allein es gelang noch nicht, und so hat man bis zum 23. April das Vergnügen, die Originale im ersten Stock ad hoc zu beschauen. Mit den notwendigen Informationen versehen, laden die gut zwei Dutzend Arbeiten allemal ein, mal wieder ein wenig zu „schillern“, obwohl man diesen „Nationaldichter“ stets erst nach Goethe nennt. Oder eben deshalb. Kurz entschlossen und dankenswerterweise erklärte sich das Hans Otto Theater bereit, die Ausstellung mit einem kleinen Programm zu begleiten. Hans-Jochen Röh-rig und Moritz Führmann stellten auf eine gute halbe Stunde „Schiller einmal anders“ vor, nicht den Heros auf steinernem Sockel, sondern den lebendigen, immer schwäbelnden, oft irrenden oder spottenden Menschen, mal in Hitze verliebt, mal dem armen Pegasus treu, mal seine Dukaten zählend, als er bemerkte, dass eine Professur in Jena weniger Geld einbringt, sondern kostet. Bestallt war er nicht als Geschichtsprofessor, sondern in Sachen Philosophie. Diese poetische Vita im Eilmarsch funktionierte sehr gut, ein volles Foyer hörte seine Gedichte, Briefe und Prosa genauso mit Freude, wie Beethovens „Bagatellen“, von Christian Deichstetter gefühlvoll am hauseigenen Klavier gespielt. Den Textlesern saß der Schalk im Gesicht, sie lasen Schiller gern, sogar jene ganz unzahme Sentenz, worin es bedeutungsvoll heißt „schlagt ihn tot, es ist ein Rezensent!“ Das dürfte übertrieben sein, wollte der begeisterte Kantianer denn nicht, dass alle Menschen Brüder werden? Jedenfalls zweifelte niemand daran, dass Deutschlands „zweiter Klassiker“ eine quicklebendige Person ist, wie seine Texte im Allgemeinen des Lebens nimmer entbehren. Goethe soll die Nachricht vom eiligen Tod zu Tränen bewegt haben, die titelgebende Zeile sprach er, posthum an Schiller gerichtet, zu dem Herrn Eckermann. Christiane Vulpius überliefert, dass er am Abend schon wieder „gefasst gewesen“ sei. Schiller wird es in diesem Jahr neben Einstein, Andersen, Stifter und Thomas Mann nicht leicht haben. Nach Meinung des stellvertretenden Bibliothekchefs, Laudator Frank Hoppe, ist Einstein der Primus 2005. Es liegt allein an den Menschen, wem sie folgen, wo sie sich anhängen möchten. Von Christel Wollmann-Fiedler, Berlin, stammt der Satz „Schillers Spuren fand ich, außer der Krieg hatte sie zerstört“. Gerold Paul
Gerold Paul
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