Kultur: „Er war eine mutmachende Gestalt“
Siegfried Ressel hat über Wolfgang Hilbig einen Film gedreht, der in Potsdam erstmals zu sehen ist
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Herr Ressel, am 31. August wäre der Schriftsteller Wolfgang Hilbig 70 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass haben Sie den Dokumentarfilm „Hilbig – Eine Erinnerung“ gedreht, der am kommenden Sonntag vor seiner Fernsehpremiere in Potsdam zu sehen ist. Der Titel erweckt den Eindruck, dass dieser Film auch eine persönliche Spuren- und Erinnerungssuche sein könnte.
Ja, auf jeden Fall. Hilbig war für mich schon zu DDR-Zeiten ein Begriff und fast schon eine mythische Person. Als seine ersten Bücher im Westen erschienen sind, ragte das auch ein bisschen heraus. Er war so jemand, der es schaffte zu veröffentlichen, ohne im Schriftstellerverband zu sein, ohne irgendwie in der DDR diesem organisierten Schreiben anzugehören. Und das auch ohne diesen Dissidentenhabitus. So war das ja sonst. Entweder war man ein offizieller Schriftsteller mit allen Weihen und konnte veröffentlichen. Oder man hatten diesen Dissidententouch, wurde dadurch für den Westen interessant, bekam eine gewisse Aufmerksamkeit und letztendlich auch eine Veröffentlichung. Hilbig war weder das eine noch das andere.
Wie haben Sie den Schriftsteller Wolfgang Hilbig für sich entdeckt?
Anfang der 80er Jahre ragte so ein wenig die Leipziger Undergroundszene hervor und deren Ruf schwappte bis nach Potsdam. Ich war damals viel mit Carsten Wist zusammen.
Mit dem Sie viele Jahre den Literaturladen auf der Brandenburger Straße geführt haben.
Ja, Carsten hielt den Kontakt nach Leipzig. Und in diesem Umkreis fiel der Name Hilbig. Der sei ein Typ, der tolle Gedichte schreiben würde. Irgendwann lasen wir die ersten und dann kam der Band „Stimme, Stimme“ bei Reclam heraus. Das war schon eine kleine Sensation, dass jemand, der aus einem alternativen Milieu kam, über den Umweg einer Veröffentlichung im Westen dann im Osten bei Reclam ein Buch herausbrachte. Bis dahin kannte ich Hilbig aber nur vom Hörensagen. Er war schon eine mutmachende Gestalt, weil er sich als reiner Literat über all die inneren Sperren in der DDR hinwegsetzte und sich sagte: Ich schreibe und schreibe und schreibe und irgendwann werde ich auch veröffentlicht.
Erinnern Sie sich noch an die erste persönliche Begegnung?
Das war, als Carsten und ich den Literaturladen hatten. So 1991. Da las er das erste Mal bei uns. Das war toll. Carsten, Hilbig und ich, wir lagen irgendwie auf einer Wellenlänge. Danach las er immer wieder bei uns. Wir hatten da so eine Art von Arbeitsfreundschaft entwickelt.
Und wie haben Sie bei diesen Treffen den Menschen Hilbig erlebt?
Sehr unprätentios. Ich würde fast schon sagen, er war einer von uns. Wenn man sich so eine Symbolfigur der Literatur der Bundesrepublik suchen würde, müsste das Günter Grass sein, dieser „elder statesman“. Der Getragene, immer Eloquente, immer über alles Bescheid wissende Intellektuelle. Wenn wir einen solchen Repräsentanten für die Ostliteratur suchen, dann wäre das Hilbig. Der in seiner ganzen Verschlossenheit, seiner unprätentiösen Art, seinem proletenhaften Herkommen ganz unkompliziert war.
Hilbig gab ja nie vor, jemand anderes zu sein. Man sah ihm seine Herkunft, den Arbeiter immer noch an. Und auch als Schriftsteller schien er immer noch ein Arbeiter zu sein.
Wobei ich da schon einen Widerspruch sehe. Die westliche Rezeption hebt ja immer auf den Arbeiterschriftsteller ab. In den späten 70er, Anfang der 80er Jahre, das war so meine Zeit des Erwachsenwerdens. 1979 kam ich von der Armee und hatte meine ersten Kontakte mit intellektuellen Kreisen. Und wir alle, die sich so stark für Literatur interessierten, versuchten eigene Weg zu gehen. Wir hatten alle so komische Jobs und überwinterten in diesen Jobs. Irgdenwie waren wir alle Heizer wie Hilbig. Nur Hilbig war der bessere Literat.
Hilbig war jemand, der sich einfach an den Tisch setzte und schrieb und schrieb und schrieb. Kein theatralisches Gehabe mit Rotweinglas und Musenkuss. In dieser Hinsicht war er ja Arbeiter geblieben. Dem Etikett Arbeiterschriftsteller haftet aber immer noch etwas Klischeehaftes an. War das auch ein Grund für die Arbeit an dem Film, zu schauen, was ist Klischee, was Wirklichkeit bei Wolfgang Hilbig?
Ich fand es interessant, gar nicht mal aus der eigenen Sicht heraus Hilbig zu schildern. Mein Anliegen liegt in dem Anschieben, dem Orchestrieren von Erinnerungen. Hilbig hatte ja sehr klare Lebensstationen. Meuselwitz, Leipzig, dann die Bundesrepublik und dort diesen seltsamen Ort Edenkoben.
Das Weinstädtchen in Rheinland-Pfalz, in dem Hilbig mehrere Jahre lebte.
Ja, eher so eine südliche Landschaft, sehr idyllisch im Sommer, die eigentlich überhaupt nicht zu Hilbig passt. Mir ging es in dem Film darum, Hilbig noch einmal von anderen, ihm sehr, sehr nahestehenden Menschen geschildert zu bekommen. Weil er für mich eine so spannende und vor allem erinnerungswerte Person ist.
Und vielleicht auch um auf ihn aufmerksam zu machen. Denn er ist ja ein Schriftsteller, den es immer noch zu entdecken gilt?
Ja, da ist bei mir auch ganz klar das Anliegen, Hilbig noch einmal medial zur Geltung zu bringen. Im besten Sinne an ihn zu erinnern.
Natascha Wodin, die mit Wolfgang Hilbig verheiratet gewesen ist, hat in ihrem Roman „Nachgeschwister“ die nicht einfache Zeit mit Hilbig verarbeitet. Hat dieser Roman Einfluss auf ihre Arbeit gehabt?
Auf jeden Fall. Da wurde mir die Kompliziertheit des Hilbigschen Lebens, besonders das Zusammenleben mit den Frauen sehr deutlich. Das hat mich sehr neugierig gemacht und mir den Hilbig noch einmal sehr nahe gebracht. Da war es dann auch ein Muss, dass sich mindestens eine, wenn nicht zwei Frauen in dem Film an Hilbig erinnern.
Und wer kommt von ihnen in „Hilbig. Eine Erinnerung“ zu Wort?
Das sind Natascha Wodin und ihre Vorgängerin, wenn man das so sagen will, Silvia Morawetz. Mit der lebte Hilbig in Leipzig zusammen. Die ist im Grunde die Protagonistin im Roman „Provisorium“, sie ist die Mona. Und beide Frauen erinnern sich interessanterweise auch sehr deckungsgleich.
Was hat die intensive Auseinandersetzung mit Wolfgang Hilbig für diesen Film bei Ihnen bewirkt?
Als sich Natascha Wodin von Hilbig getrennt hatte, sagte sie, dass sie dann endlich wieder aus diesem Hilbiggrab raus war. Jetzt, nachdem ich den Film fertiggestellt habe, spüre ich, dass ich auch zwei Jahre in diesem Hilbiggrab war. Die Auseinandersetzung mit ihm, alles noch einmal zu lesen, das war schon sehr verzehrend. Dieses Obsessive, das diesen Mensch in seinem Leben nur vorangetrieben hat. Er wollte nicht leben, er wollte nur schreiben, so hat Natascha Wodin das ausgedrückt. Und die Nähe zu diesem obsessiven und auch sehr autistischen Menschen, die prägt einen dann auch. Andererseits, was ich gar nicht auf der Rechnung hatte, das war die Rolle von Karl Corino.
Der Rundfunkjournalist, der Hilbig am Anfang förderte?
Nicht nur am Anfang! Hätte Hilbig diesen Corino nicht gehabt, als immer wieder antreibenden und fördernden Menschen, das wäre gar nicht auszudenken. Als etablierter Redakteur vom Hessischen Rundfung hörte er in den 70er Jahren den Namen Hilbig, der damals noch in Meuselwitz lebte. Corino hakte da nach, recherchierte die Adresse in Meuselwitz, schickte Hilbig eine Karte mit der Bitte, er möge ihm doch ein paar Texte schicken. Und dann kommen tatsächlich ein paar Gedichte von Hilbig in den Westen und Corino entdeckt den als einen Jahrhundertautor. Er interviewt Hilbig unter konspirativen Bedingungen in Leipzig, lässt ihn dabei einige Gedichte lesen und bringt das dann Ende der 70er Jahre im Hessischen Rundfunk. Daraufhin erscheint Hilbigs erstes Buch im Westen. Danach besorgt er ihm Stipendien, einen Förderpreis und unterstützt ihn auf dem Weg zum Bachmann-Preis. Und das alles ohne zu erwarten, dass der Hilbig ihm dankbar ist. Ohne dass Corino sagt, damit schreibe ich mich in die deutsche Literaturgeschichte ein. Einfach nur eine sehr selbstlose Art als sachkundiger Fan. Das ist schon Wahnsinn. So spielt Corino in dem Film auch die entsprechende Hauptrolle.
Dieser Einfluss von Corino ist so bisher nicht thematisiert worden.
Im reinen Studium von Hilbigs Biografie ist mir das gar nicht bewusst geworden, weil Corino in dieser Hinsicht sehr zurückhaltend ist. Das wurde mir dann erst im Schnitt klar, wie zentral die Figur des Karl Corino im Leben von Wolfgang Hilbig gewesen ist. Auch wenn das nie eine enge Freundschaft geworden ist, die beiden sich nur punktuell alle Jahre gesehen haben.
Der wichtigste Mensch also im schriftstellerischen Leben von Wolfgang Hilbig?
Auf jeden Fall. Entdecker und großer Förderer, der die entscheidende Rolle gespielt hat.
Hilbig, das zeigt auch sehr deutlich der Roman von Natascha Wodin, war ein am wirklichen Leben Gescheiterter, der nur für das Schreiben existierte. Da ist nicht die geringste Spur von dem sonst so verklärenden Bild des Schriftstellers.
Ja, natürlich entspricht er dem Bild des obsessiven Schriftstellers. Aber gleichzeitig ist er auch nicht der erste Schriftsteller, der am Leben scheitert. Hilbig war in dieser Hinsicht schon eine sehr eigene Persönlichkeit.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Die Filmpreview „Hilbig. Eine Erinnerung“ in Anwesenheit des Filmteams am Sonntag, dem 21. August, um 19.30 Uhr im Waschhaus in der Schiffbauergasse. Die Schauspielerin Corinna Harfouch liest Texte von Wolfgang Hilbig, die Moderation des Abends übernimmt Carsten Wist. Der Eintritt ist frei. „Hilbig. Eine Erinnerung“ wird am Samstag, dem 27. August, um 23.05 Uhr bei 3sat ausgestrahlt
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