zum Hauptinhalt
„Wir wurden verfolgt, weil wir geboren waren.“ Die Angst war Ralph Giordanos ständiger Lebensbegleiter.

© Uwe Fleischer

Kultur: Er wurde zum Juden geprügelt

DVD-Premiere im Filmmuseum: Der Egon-Monk-Mehrteiler „Die Bertinis“ nach dem Roman von Ralph Giordano

Stand:

Die Hauptperson fehlte. Statt im Filmmuseum die gerade erschienene DVD zu signieren, lag Ralph Giordano mit einem Beinbruch im Krankenhaus. Doch der 88-jährige Schriftsteller und Regisseur war an diesem Donnerstagabend dennoch präsent: leinwandgroß. In dem Interviewfilm „Die Nazis haben mich zum Juden geprügelt“ ließ der Potsdamer Regisseur Uwe Fleischer den heute in Köln lebenden Kollegen mit dem vollen schlohweißen Haar im großen Ohrensessel noch einmal über sein Leben erzählen, über ein Leben, das sich nie von der Angst lösen konnte.

Die schicksalsschweren Jahre seiner Familie sind nun auf DVD fürs „Heimkino“ erhältlich: in der ZDF-Verfilmung von Giordanos autobiografisch gefärbtem Roman „Die Bertinis“. Dem Fünfteiler aus dem Jahr 1988 ist als Bonusmaterial das 2011 geführte Interview mit Ralph Giordano beigefügt. Mit ruhiger Stimme beschwört er in dem wie ein Monolog wirkenden Zusammenschnitt noch einmal die Hölle seiner Jugend herauf.

Ralph Giordano, Sohn eines italienischen Pianisten und einer jüdischen Klavierlehrerin erzählt, wie er als junger Mann mehrmals von der Gestapo misshandelt wurde. Windelweich prügelten sie ihn beim dritten Mal wegen angeblicher Rassenschande. Und während die beiden Nazi-Schergen auf den Jungen einschlugen, unterhielten sie sich über Tomatenstauden, die sie auf ihren Balkon gepflanzt haben. Ralph Giordano fasste unter den kaum zu ertragenden Schmerzen indes den Entschluss, nie Kinder in diese Welt zu setzen. „ Heute weiß ich, dass dieser Verzicht falsch war.“ Dass er so weit getrieben wurde, nehme er diesen Verbrechern am meisten übel, sagt der zweimal verwitwete Mann, der an beiden Händen zwei Eheringe trägt.

Es berührt, wie innig Ralph Giordano über seine Mutter erzählt, die die Quelle für seine Kraft gewesen sei. „Ich hatte Todesfurcht um sie. Mit dieser Angst bin ich eingeschlafen und aufgewacht. Sie durfte nicht deportiert werden.“ In einen rattenverseuchten lichtlosen Verlies in Hamburg-Alsterdorf versteckte sich die Familie monatelang, harrte fast bewegungslos aus, bis schließlich die Engländer in Hamburg einmarschierten. Sie rutschte auf Knien erst einen Tag später angstbesessen aus ihrem Versteck heraus. Ein Panzer blieb stehen und die Soldaten schauten verstört auf die an den Straßenrand robbende Familie: Vater, Mutter, drei Söhne, die keine Menschen mehr zu sein schienen.

Schon 1942 hatte Ralph Giordano die Idee, einen Roman zu schreiben und dafür das eigene Leben als Rohstoff zu nehmen. Da war er 18. Kurz vor seinem 60. Geburtstag lag das 800-seitige Buch dann fertig auf dem Tisch. „Es war ein Muss, es zu schreiben“, so der charismatische Autor. Das literarische Ergebnis schrie dann förmlich nach Verfilmung und so standen die Interessenten Schlange. Auch Hollywood bemühte sich um die Rechte. Doch Giordano übergab sie an die Produzentin Katharina Trebitsch, Tochter des deutsch-ungarischen Filmproduzenten Gyula Trebitsch, der als Jude das Konzentrationslager Sachsenhausen überlebte. „Katharina hatte sofort mein politisches und moralisches Vertrauen“, erinnert sich Ralph Giordano im Interviewfilm.

Als Regisseur verpflichtete sie Egon Monk, der den 4. und 5. Teil bei der Defa in Babelsberg drehte. „Es war frappierend, wie genau Monk den Typus der historischen Figuren in den Filmfiguren getroffen hat. Auch im Aussehen gab es Übereinstimmungen.“ Im Gegensatz zu der sehr emotionalen Sprache Giordanos im Roman ist die Erzählweise Monks, einem Brecht-Schüler, eher nüchtern, fast kühl. Es gibt auch keine ausgestellte Gewalt zu sehen. Trotz Verzicht auf Schockeffekte weiß der Film – der vierte Teil wurde am Donnerstag neben dem Interview ebenfalls gezeigt – die Zuschauer hineinzuziehen. Das Grauen schleicht sich durch die Hintertür. Giordano ließ dem Regisseur freie Hand. Nur einmal war er am Set. Doch er fühlte sich so sehr an seine schmerzhafte Vergangenheit erinnert, dass er den Dreharbeiten fortan fern blieb. Vor allem der Sommer 1935 hatte sich tief in seine Seele eingeschrieben: die erste „innere Versehrung“. Das war, als sein bester Freund auf ihn zukam und sagte: „Ralle, mit Dir spielen wir nicht mehr. Du bist Jude“. „Dieser Stich ins Herz ist unverwindbar. Da komme ich nie drüber weg“, sagte er in dem Gespräch mit Uwe Fleischer.

Wohl wissend, dass in der Romanverfilmung die Handlung komprimiert werden musste – für das Ereignisvolumen hätte es 42 Stunden statt der gedrehten 7,5 Stunden gebraucht – kritisierte Giordano, dass der Film mit der Befreiung von den Nazis aufhöre. „Er spiegelt nicht das ganze Buch wider, in dem sich schon die zweite Schuld ankündigt: die Verdrängung und Verleumdung der ersten Schuld. Die Täter konnten nach Kriegsende ihre Karriere unbeschadet fortsetzen.“ Ein Stachel, der ihn immer zwacken werde. Die Krönung seines Lebens sei indes der nach seinem Roman benannte „Bertini-Preis“, der jährlich an junge Menschen mit Zivilcourage verliehen wird.

Den ZDF-Fünfteiler „ Die Bertinis“ gibt es jetzt auf DVD in der Reihe „Große Geschichten“ des Studios Hamburg Enterprises. Dazu gehört als Bonusmaterial der Interviewfilm „ Die Nazis haben mich zum Juden geprügelt“ von Uwe Fleischer, erhältlich für 25 Euro im Filmmuseum

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })