Kultur: „Erfinde dich selbst und neu!“
Filmmuseum und Fachhochschule starten am Montag eine Veranstaltungsreihe zum Wandel der Arbeit
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Sie stoppen eine Autofahrerin, reparieren ihr angeblich kaputtes Blinklicht, putzen die Scheiben, säubern in Windeseile die Polster. Die Frau schaut fassungslos diesem unangeforderten Hilfskommando zu. Und bezahlt am Ende tatsächlich für diese Arbeits-Guerilla. Auch auf dem Rastplatz gibt es zu tun: Schnell die Klampfe zur Hand, ein paar mal in die Saiten gehauen und schon freut sich der Mensch: das überraschte, Stulle kauende Ehepaar auf der Bank ebenso wie die tatkräftige Buskolonne, die wie ein Gewitter über andere hereinbricht. Sie nimmt sich Arbeit, erzwingt ihren Lohn. Allerdings nicht immer zum Wohlgefallen eines jeden.
Doch wie ist derzeit auf einem Spruchband am Schaufenster der Fachhochschule Potsdam zu lesen? „Arbeit ist schwer, aber nicht arbeiten ist die Hölle“. Also ist Erfindungsreichtum vonnöten. Der Bogen vom Filmmuseum, in dem der unterhaltsame Kurzfilm „Bus“ über die unorthodoxe Arbeitsgang demnächst läuft, zur Fachhochschule vis-a-vis, ist sehr bewusst geschlagen. In dem dreimonatigen Projekt „Erfinde dich selbst und neu!“ gehen Kulturleute und Studenten ein ganz spezielles Bündnis für Arbeit ein. In dieser Film- und Veranstaltungsreihe dreht sich alles um das Thema Wandel der Arbeit. Nicht mehr lange, und die FH-Studenten stecken selbst mittendrin im Dilemma. Wo nehme ich Arbeit her? Verlasse ich mich auf die Vermittlung durch Beamte – dann bin ich oft verlassen. Praktika sind zwar meist spannend, doch oft nur eine Warteschleife ohne Zukunft. Gefragt sind neue Ansätze: „Antworten auf den Zerfall der alten Arbeitsgesellschaft“. Und genau darüber wird es im Eröffnungsvortrag am 16. April gehen. Wolfgang Engler, Rektor der Schauspielschule „Ernst Busch“ Berlin, ist für eine radikale Neugestaltung, für ein gesichertes Grundeinkommen für alle und zugleich für eine große Bildungsoffensive. „Nur Menschen, die ihres Lebens sicher sind und zugleich imstande sind, sich selbst zu leiten, zu regieren, auch ohne (regelmäßige) Arbeit, kommen als vollwertige Bürger in Betracht.“
Schon der einstige Fließbandarbeiter Charlie (Chaplin) erlebte 1936, wie unbequem das Leben auf der Straße ist. In „Moderne Zeiten“ gerät er zwischen die Zahnräder. Und auch die arbeitslose Hauptfigur in dem italienischen Meisterwerk des Neorealismus „Fahrraddiebe“ (1948) kommt für ein Job auf schiefe Bahnen. Auf eine ganz aktuelle Demontage in der Arbeitswelt schaut der Film „Losers and Winners“ von 2006. Eineinhalb Jahre hielten Filmemacher mit der Kamera fest, wie im Ruhrgebiet eine Industrieanlage von Chinesen abgebaut wurde, um sie in China wieder aufzubauen. Wie ging es den deutschen Arbeitern, wenn sie mit der modernsten Kokserei der Welt auch ihren Stolz schwinden sehen. Und was fühlten die Chinesen? Das mit vielen Filmen, Vorträgen (u.a. auch mit Adrienne Goehler zu ihrem Buch „Verflüssigungen“) und studentischen Workshops gespickte Programm ist Teil der bundesweiten Film- und Veranstaltungsreihe „Work in Progress“, in der 37 Projekte angenommen wurden. Das Filmmuseum vernetzte sich mit der Fachhochschule und legte offensichtlich ein sehr kreatives Potential frei. Beim gestrigen Pressegespräch erzählten Studenten u.a. von ihrem Projekt „Entlassungen“, bei dem sie mit drei Ruheständlern aus Potsdam auf theatrale Erkundung gehen. Die jungen Leute fragen zudem nach dem Recht auf Arbeit und dem Recht auf Faulheit, zeigen die Gefahr von Überqualifizierung und zu großer Spezialisierung, schauen, wie Künstler neue Modelle für Leben und Arbeit liefern können. „Wir verlegen unsere Denkräume von der Fachhochschule in das Filmmuseum“, so FH-Professor Gerhard Buck. Und diese Räume werden weit geöffnet – für alle. Denn Arbeit geht jeden etwas an. Und eine Arbeit gibt es immer: gegen das Verharren anzugehen.
16. April, Eröffnungsvortrag von Wolfgang Endler, 19. 30 Uhr
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