Kultur: Erfrischend
Karikaturenausstellung zu „Zwanzig Jahre Mauerfall“
Stand:
„Dass sich die DDR reformieren würde, einen dritten Weg einschlagen könnte, hielt ich immer für völlig unrealistisch. Nach dem Mauerfall musste die Vereinigung kommen. Das war zwangsläufig“ schrieb der politische Karikaturist Rainer Hachfeld in dem ganz vorzüglichen Katalog zur neusten Ausstellung in der Landeszentrale für politische Bildung. „Zwanzig Jahre Mauerfall“, das sind zweimal zehn Jahre für sich. Je zwei mal zehn Karikaturisten aus Ost und West vereint diese Exposition denn auch höchst absichtsvoll. Wie haben die Kabarettisten der Feder diese weltbewegenden Wochen erlebt, wie kann man Brücken zu jenen bauen, die es heutzutage nur noch so gut wissen, wie Medien und Lehrer es ihnen erzählen? Genau dieser Spannungsbogen ist auch gemeint, wenn bei Reiner Schwalme ein Priester dem Sterbenden ins Ohr flüstert: „Jetzt kann ich’s ja sagen. Ich war bei der Stasi“ oder Lenin aus seinem Düster-Mausoleum herausruft, ihn könnten alle mal. Dem Westdeutschen Gerhard Mester ist es noch heute peinlich, „die Dimension dieses historischen Momentes nicht erkannt“ zu haben. Sein Blick auf das Frühjahr 1990 zeigt zwei Renovierende, einer färbt sein Stück Wand grün, der zweite eines blau, Unterschrift: „Ich freue mich riesig auf unser Zusammenleben!“ Ottfried Zielke, Ostberlin, wollte „nie BRD-Bürger“ werden, er ließ seinen Trommler noch 1989 ausrufen, jetzt gehe es den Leuten an den Kragen.
Was in dieser Ausstellung angelegt ist, schöpft keiner leer: vermeintliche „Zeitgeschichte“ mit völlig unordentlichen Kommentaren, erfrischend subjektive Statements der Künstler, Denken in Bildern statt in wohlgeordneten Kategorien, letztlich ein schwerer Angriff auf die sorgsam gehütete Ordnung der Oberen, alles auch noch fein verziert mit Spott. Wie schon zur Jubiläumsschau für Barbara Henniger im letzten Jahr, war es auch am Dienstag proppenvoll im Hause Nummer 17 nah der Staatskanzlei.
Wenn eine Exposition schon so viel Gutes, aber nichts Nützliches hervorzaubern kann, wie ein Volk von Schneemännern, das freiwillig den Frühling begrüßt, so ist sie genauso zu loben wie jener historische Moment von 1989 bis zur Einheit. Hier nämlich, und nur hier, war der Geist in völliger Freiheit, alle Kreativität am Limit, mancher Satiriker erlebte seine Blütezeit. Von „dürfen“ keine Spur, alles konnte man sagen. Die Befrieder von Denkprozessen, Vereinahmer von Meinungen waren damals wohl noch nicht so weit wie heute. Auf der einen Seite ist diese Ausstellung also eine wahrheitsgetreue Momentaufnahme zwischen historischer Zweiheit und Einheit.Wer sein Herz nicht verschließt, wird auch die „Botschaft für heute“ finden. Gerold Paul
Die Ausstellung ist bis zum 5. November, jeweils montags bis mittwochs, 9-18 Uhr und donnerstags und freitags, 9-15 Uhr, in der Heinrich-Mann-Allee 107 zu sehen
Gerold Paul
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