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Kultur: Erinnerungen

Der „salon spécial“ in der „fabrik“

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Sie sorgte erst einmal für eine Änderung im Programm. Die Potsdamer Autorin Christine Anlauff, die am Dienstagabend in der „fabrik“ den Auftakt zum „salon spécial“, einer Sonderausgabe des Literarischen Salons des Autonomen Frauenzentrums, gab. Sie ließ Frau Winter aus ihrer Erzählung „Frau Winter sieht schwarz“, die laut Programm eigentlich gelesen werden sollte, kurzerhand entschuldigen und stellte stattdessen den 28-jährigen Studenten Martin Schmiel und dessen Großvater Albrecht in den Mittelpunkt des Geschehens. Und vielleicht hatte Christine Anlauff absichtsvoll statt der ursprünglich geplanten Frau Winter nun zwei männliche Zeitgenossen in die Dramaturgie des Abends geschmuggelt. Denn dieser stand unter dem Motto „Mut und Anmut-Frauen in Brandenburg-Preußen“. Aus Anlass des 200. Todestages der beliebten Königin Luise wollte man an diesem Abend, wie schon das ganze Jahr lang die prominenten und weniger prominenten Frauen Brandenburgs entdecken.

Neben Christine Anlauff lasen die ebenfalls in Potsdam lebende Autorin Julia Schoch, sowie die Berlinerin Annett Gröschner, bekannt geworden durch „Moskauer Eis“, die aufgrund einer langen Odyssee von Hannover in die „fabrik“ erst zum zweiten Teil des Abends eintraf. Musikalische Unterstützung gab es von Akkordeonistin Cathrin Pfeiffer, deren Stücke, die sie selbst schreibt, viel Französisches und Osteuropäisches transportierten. Scheinbar mit ihrem Instrument verwachsen, lockerte sie das Gelesene immer wieder durch die Sprache der Musik auf.

Späten Gästen wird oft eine ausgesprochen große Interessantheit nachgesagt und Annett Gröschner hatte mit ihrem zweiten Text „0 mal x mal 49 Frauen“ tatsächlich etwas ganz Besonderes mitgebracht. Die Berlinerin, die während eines ihrer unzähligen Projekte auch eine Vielzahl Frauen des Prenzlauer Berg interviewt hatte, ließ diese in kurzen Sequenzen, mit nur wenigen Worten die Kriegs- und Nachkriegszeit in Berlin noch einmal auferstehen. Vor allem eine Frage war danach aufgeworfen: Bleibt wirklich so wenig Schönes und Leichtes in der eigenen Erinnerung?

Überhaupt Erinnerung. Das Thema zog sich, bewusst oder unbewusst, beinahe durch den gesamten Abend.

Für die ursprünglich eingeladene Schauspielerin Rita Feldmeier, die absagen musste, kam Heidemarie Hölters, die ein Atelier in Falkensee betreibt und die die um die Jahrhundertwende geborene und in Auschwitz zu Tode gekommene jüdische Schriftstellerin Gertrud Kollmer noch einmal in Erinnerung rufen wollte. Die von ihr gelesenen Gedichte, die vor allem zwischen 1927 und 1932 entstanden, sprechen durch dunkle Bilder und sind voller Anklage und Empathie.

Auch Julia Schoch, die aus ihrem Essay „Ich, Bewohnerin einer Zwischenzeit“ las, spricht von Geschichte. Geschichte als Vorgang des Verschwindens. Sie hatte einen Monat in einem niedersächsischen Kloster gelebt und sprach von ihrem eigenen Gefühl, immer zu spät oder zu früh zu kommen. Alles Große wäre immer schon vergangen und die Zukunft noch nicht angebrochen. Der Text, der intelligent und poetisch gleichermaßen war und auch die Erinnerung an die Kindheit der Autorin streifte, erzählte ebenfalls von den Konventualinnen, den Bewohnerinnen des Klosters, und fügte sich so hervorragend in den ausgesprochen weiblichen Abend. Andrea Schneider

Andrea Schneider

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