Kultur: Erinnerungen nicht konservierbar
Thalheims „Am Ende kommen Touristen“ und ein Gespräch im Filmmuseum
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Es gibt ein Leben nach dem Grauen von Auschwitz. Man kann wieder Gedichte schreiben, man kann sogar Filme machen. Auch über Auschwitz. Wie dann aber mit den vielen Toten umgehen, nach so langer Zeit, mit dem Gedenken? Diese Frage stand im Zentrum einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung anlässlich der „Novemberpogrome“ von 1938. Nach dem Spielfilm „Am Ende kommen Touristen“ gab es im vollbesetzten Filmmuseum ein Gespräch, und dieses zeigte, dass es mit der bisherigen „Trauerkultur“ so nicht weitergehen kann.
Robert Thalheims Film von 2007 schildert, wie Sven, ein Zivi aus Deutschland, vor Ort mit einem überlebenden Polen konfrontiert wird, dessen Lebensinhalt darin besteht, die uralten Koffer der Auschwitz-Opfer zu reparieren. Plötzlich aber heißt es „keine Koffer mehr“! Übersetzt: Du wirst nicht mehr gebraucht. Auch seine Erinnerungen mag man nicht mehr gern hören, die jungen Leute aus Deutschland verstehen kaum noch, wovon der alte Mann redet. Auf der anderen Seite gibt es eine Liebesgeschichte mit der jungen Polin Ania. Sie wohnt in Monowitz, früher ein Außenlager, jetzt ein normales Dorf, errichtet auf den Fundamenten der alten Häftlingsbaracken. Sven fragt sie: Wie kann man hier wohnen? Auch sie versteht seine Frage nicht, das Leben geht doch weiter. Der Regisseur weiß, wovon er erzählt, er war selbst einst Zivi in dieser Jugendbegegnungsstätte, wo man die Koffer nur restaurieren, nicht aber reparieren will – allein der Erinnerung wegen.
Auf Luc Jochimsen, kulturpolitische Sprecherin Der Linken im Bundestag, wirkte dieser Film „wie ein Testament“. Zusammen mit Julius Schoeps und der Moderatorin Angelika Timm, Leiterin des Luxemburg-Büros in Tel Aviv, war man sich bald einig, mit der bisherigen Art des appellativen Gedenkkultes eigentlich am Ende zu sein. Der Leiter des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums wusste es als „Erinnerungsredner“ am besten: Landauf, landab dieselben Rituale: Klezmer, Festrede, Klezmer, Eintrag ins Goldene Buch der Stadt. So werde „das Gedenken zunehmend zum Problem“. Auch im Bundestag: Die Linke darf bei einer Resolution zum Antisemitismus „nicht dabei sein“, sie wird „parteipolitisch ausgeblendet“. Margit Bircken, Uni Potsdam, hatte in ihrem Grußwort auf die alte, „kanonisierte“ Art versucht, das Gedenken zu rekultivieren. Schoeps zum überwiegend jungen Publikum: „Sie sind ja nicht die, die wir erreichen müssen, Sie sind ja hier“.
Der Antisemitismus („keine Erfindung der Nationalsozialisten“), ist auch 63 Jahre nach Auschwitz immer noch da, faschistisches Gedankengut auch. Aber neue Ideen werden ignoriert. Sein Vorschlag, eine „Bibliothek der verbrannten Bücher“ an alle Schulen zu bringen, finde bei den entsprechenden Stellen nur verbale Zustimmung, Unterstützung bleibe aus. Das Podium wurde zunehmend ratloser. „Erinnerungen kann man nicht konservieren“, sagte Schoeps mit Blick auf den Film. Und die Berliner Holocaust-Steine? „Die Frage war ja, ob die Nichtjuden ein solches Mahnmal brauchen!“ Erstarrte Kulte? Antisemitismus sei „ein integraler Bestandteil der deutschen Kultur“, bei Wilhelm Busch, im Neuen Testament, da könne man „nicht einfach streichen“. So blieb dem Podium nichts, als Zivilcourage zu empfehlen, den Lehrern mehr Ehrlichkeit bezüglich Auschwitz, diesen Film als Lehrmittel. Das Leben zeigt ja: Am Ende kommen halt – Touristen! Gerold Paul
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