Kultur: Erlebnisreich
Orgelimprovisationen in der Heilandskirche
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„Zum Improvisiren gehört aber ausser der technischen Spielfertigkeit und der vollkommenen Beherrschung der Theorie noch eine glückliche Erfindungsgabe, die doch nur äusserst selten anzutreffen ist“, ist in der 1862 erschienenen Schrift „Die Musik in der katholischen Kirche“ nachzulesen. Und, so möchte man ergänzen, „denkende Finger“, die einen Improvisator erst zu dem machen, was er sein sollte: ein ästhetisch vielseitig gebildeter Organist, dem das gleichzeitige Erfinden und Ausführen von Musik ohne offenkundige unmittelbare Vorbereitung vorzüglich gelingt. Zu den deutschlandweit renommiertesten Beherrschern dieser Kunst gehört zweifellos Dirk Elsemann, seit zehn Jahren Kirchenmusiker an der katholischen Kirche Heilig Kreuz in Berlin-Wilmersdorf. Am Sonntag war er in die Sacrower Heilandskirche eingeladen, um die Hohe Schule dieses speziellen Orgelspiels bei einem Improvisationskonzert an der Wegscheider-Orgel vorzustellen.
Ohne die sonst übliche Notentasche ist er angereist, hat auf dem rechtsseitig angeordneten Spieltisch nur ein evangelisches Kirchengesangsbuch liegen. Aus weiteren, dem Publikum an die Hand gegebenen Exemplaren soll ihm daraus Liednummer und Textanfang genannt werden, auf das er über die betreffende Melodie frei improvisieren möge. Diese Verfahrensweise habe man gewählt, „um die uferlosen Wünsche von Gregorianik bis HipHop ein wenig einzugrenzen“, so Moderator Reinhard Beyer, Organisator von Konzerten in der Heilandskirche. „Wer schon immer mal eine fünfstimmige Fuge aus dem Ärmel geschüttelt bekommen wollte, ist hier genau richtig!“ Von Haus aus Musiker, erläutert er jene musikalischen Formen, in die der Organist seine Eingebungen gießen will.
Für „Praeludium und Fuge im deutschen Barockstil“ wird allerdings der (nicht im Kirchengesangsbuch enthaltene) Wunsch nach der gregorianischen Ostersequenz „Victimae pascalis“ geäußert. Ob er erfüllbar sei? „Ein guter Katholik hat sie im Kopf“, pariert Elsemann spontan, „und außerdem basiert auf ihr das evangelische Kirchenlied ‚Christ ist erstanden’“. Gesagt, kurz nachgedacht und gespielt. Bach hätte seine helle Freude gehabt. Das Instrument erstrahlt und leuchtet im Glanz des vollen Orgelwerks. In drei „Choralbearbeitungen im deutschen Barockstil“ erscheint die Melodiestimme filigran modelliert zunächst im Alt (181.6), dann leicht tremolierend und zungenstimmenweich im Sopran (503), endlich im tänzerisch beschwingten Tenor (365). Dabei zieht Elsemann jeweils prägnante Soloregister, die, passend zur Kirchenarchitektur, eine italienische Klangnote ins Spiel bringen.
Neben Ziseliertem und Ornamentalem ist nun das Bombastische in Gestalt einer dreiteiligen Orgelsymphonie à la française an der Reihe. Klangfarbenreich und voluminös spielt er in Lisztscher Manier ein wuchtig aufbrausendes Allegro („Lobe den Herrn“), stark tremolierend und dissonanzenreich ein Andante („Der Mond ist aufgegangen“) und schließlich mit Toccatabrio ein Scherzoso („Hevenu schalom aleichem“). Die Imagination einer Großorgel ist ihm gelungen, auch wenn er nur über 17 Register verfügen kann. Als Quintessenz erklingt abschließend eine deutsch-romantisch geprägte Choralphantasie und Fuge, gespeist aus Morgendank (334) und guten Mächten (65): viel Tremolo, verhalten im Ausdruck, besinnlich bis zum stillen Abgesang. Der Reiz des nachmittäglichen Konzerts? Man war als Zuhörer Teil eines sehr persönlich gehaltenen Programms. Chapeau, viel Beifall. Peter Buske
Weitere Konzerte mit Orgel- und Instrumentalstücken sowie geistlichen Gesängen finden jeweils am ersten Sonntag eines Monats um 15 Uhr in der Heilandskirche Sacrow statt
Peter Buske
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