Kultur: Es geht ab
Rasante Premiere des Jugendstücks „the killer in me is the killer in you my love“ in der Reithalle
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Die Rundumleuchte schwebt bedrohlich über die Köpfe hinweg. In rasender Geschwindigkeit. Klein Gerber lässt sie in diesem Affenzahn kreisen. Und so wie der Blick auf die signalrote Leuchtspur fast schwindlig macht, rattern auch die Worte des Jungen wie Salven aus einem Maschinengewehr in die Ohren der Zuschauer. „Ich bin nachts unterwegs. Irgendwo unterwegs. Und es geht ab“.
Ja, es geht ab in diesem Stück „the killer in me is the killer in you my love“. Denn es geht um nichts weniger Aufreibendes als die verwirrenden Gefühle der Jugendlichen in der Pubertät. Und die werden an diesem Donnerstagabend in der Reithalle des Hans Otto Theaters wie die Handtücher auf der Wiese im Schwimmbad in den verschiedensten Farben ausgebreitet. Anfangs muss man sich erst hineinhören in die knappen, sich immer wiederholenden Sätze des Schweizer Autors Andri Beyeler, die er aber so geschickt in Monologen und Dialogen montiert, dass die Innenschau der Figuren oft konträr zu ihrer Außenwirkung steht.
Wie bei Lena, die sich als drittdickstes Mädchen in der Klasse fühlt und glaubt, alle starren nur auf ihre Pfunde. Ja, sie schwimmt gern und hat auch einen neuen Bikini. Aber sie kann sich doch so nicht zeigen. Diese Höllenqual: vom Handtuch zum Wasser zu gehen. Unter den Blicken der anderen. Selbst wenn sie bis zum Beckenrand ein T-Shirt drüber zieht ... So wie sich Lena immer mehr verrennt und abkapselt, was die Schauspielerin Friederike Walke in wunderbarer Ernsthaftigkeit spüren lässt, spinnen sich auch die anderen in ihrer Welt ein. Wie die schöne Hanna (Eva Bay), die zwar nicht schwimmen kann, aber gern ins Schwimmbad geht. Einfach nur da liegt. Die Blicke der anderen genießt. Sie schaut auch zu Lena und registriert: „Oh, die hat ja abgenommen“, spricht es aber nicht aus. Denn Hanna hat mit sich selbst zu tun. Schließlich steckt ein Brief in ihrer Tasche, von dem großen Gerber. Und der ist cool. Allein, wie der seine Tischtennisbälle schmettert. Natürlich besonders, wenn sie hinschaut. Gern setzt sie sich schließlich zu ihm auf das Mäuerchen, Abend für Abend. Wo auch Surbeck, Gerbers Freund, gerne neben Hanna sitzen würde. Doch Surbeck ist nicht ganz so cool, obwohl auch er zur Zigarette greift, sich dabei fast übergibt, aber mannhaft den blauen Dunst erträgt. Der blässliche Suhrbeck schwimmt stattdessen seine Runden. Immer mehr, immer schneller. Wie ein Frosch hüpft er ins Nass, versucht Sehnsucht und Neid hinter sich zu lassen. Und natürlich kommt auch Schadenfreude auf, wenn plötzlich Hanna ihr Herz für Moses entdeckt. Und nun lieber mit ihm auf dem Mäuerchen sitzt als mit seinem Freund Gerber, der ihn für Hanna links liegen gelassen hat. Denn nichts ist in diesem Alter von Dauer. Die Gefühle sind wie ein Schlag ins Wasser, ziehen immer größere Kreise und lösen sich meist bald auf. Bis zum nächsten Schlag. Doch dieser Sturm im Wasserglas kann geradezu ekstatisch sein in seiner Intensität. Und so lässt Regisseur Alexander Riemenschneider die Protagonisten ihren Schmerz auch bis an die Grenze des Erträglichen herausschreien: in immer schneller und lauter werdenden Satzwirbeln. Wie ein großes Vibrieren. Nicht immer will das gelingen, kippt dieser „Aufschrei“ durch seine Länge mitunter auch ins Nervige, beinahe Lächerliche um.
Doch die Inszenierung auf der Rasenbühne von Rimma Starodubzeva hält die Spannung. In knapp einer Stunde ist der Sommer im Schwimmbad vorbei: ein rasanter Ritt durch die so poröse Seelenwelt junger Leute, gespielt mit Witz, Temperament und auch Tragik. Vor allem Florian Schmidtke gibt seinem Gerber Bühnenpräsenz, wie zum Ende hin auch Friedemann Eckert und Roland Bonjour ihre Rollen als Klein Gerber und Surbeck zunehmend differenzierter zu gestalten wissen.
Ob die Altersgrenze ab 13 Jahren allerdings angemessen ist, scheint schon wegen der mitunter stark strapazierten drastischen Worte ebenso fraglich wie angesichts verschämt dreinschauender, am Ende kaum klatschender vorpubertärer Jungs. Für sie dreht sich die Rundumleuchte noch früh genug.Heidi Jäger
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