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Kultur: „Es redet uns keiner rein“

Moritz van Dülmen will Potsdam zur Kulturhauptstadt machen : „Das Konzept muss sich lesen wie ein Roman“

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Moritz van Dülmen will Potsdam zur Kulturhauptstadt machen : „Das Konzept muss sich lesen wie ein Roman“ Mit 33 Jahren sind Sie noch recht jung, um an vorderster Stelle Potsdam zur europäischen Kulturhauptstadt zu führen. Glauben Sie die nötigen Erfahrungen zu haben, um diese Aufgabe zu stemmen? Ja, ich traue es mir zu. Immerhin sprang ich bereits zwischen den verschiedensten Baustellen, die Kunst und Wirtschaft zusammenführen, hin und her. Dadurch konnte ich mir ein gutes Netzwerk aufbauen. Sicher ein Grund, dass ich mich gegen 61 Bewerber durchsetzen konnte. Wann entdeckten Sie Ihr Faible für die Kultur? Kultur war schon immer mein Hobby, aber studiert habe ich BWL. Doch parallel zu den Vorlesungen trieb ich mich am Saarländischen Staatstheater rum, verteilte Werbezettel und übernahm auch Regieassistenzen. Das Theater war meine Spielwiese und mir war relativ früh klar, dass dort auch meine berufliche Perspektive liegt. Allerdings nicht als Künstler, sondern als Kulturmann mit betriebswirtschaftlichem Hintergrund. Mein erstes Engagement führte mich nach Augsburg, wo ich als Projektleiter für Verkaufsförderung den Service ankurbelte und mit externem Blick bestehende Strukturen auf Effizienz abklopfte. Mein nächster Schritt führte mich zu Artemedia und damit in den Bereich der Filmproduktion. Dann ging es nach Weimar Ja, 1999 übernahm ich im Auftrag der Artemedia in der damaligen Kulturhauptstadt die Produktionsleitung der virtuellen Installation „Goethehaus 3-fach“. Dort lernte ich auch den Kulturmanager Bernd Kauffmann kennen. Parallel dazu begann ich bereits 1998 die Budgetplanung des Deutschen Pavillons auf der Expo 2000. Ab Sommer 1999 nahm ich mir in Hannover ein Zimmer, um vor Ort die administrative Leitung für alle Kulturprogramme der 16 Bundesländer mit einem Budget von 38 Mio Mark zu organisieren. Einschließlich Abwicklung band mich die Expo bis 2001 ein. Rund 700 Veranstaltungen, darunter 100 Uraufführungen, brachten wir auf den Weg. Das war eine sehr turbulente Zeit, aber auch eine einzigartige Chance für mich. Ich baute mir ein riesiges Netz an Kontakten auf, von verschiedensten Künstlern bis zu allen Bundesbehörden. Wo ist als Saarländer jetzt Ihr Lebensmittelpunkt? Ich lebe mit meiner Frau in Berlin, und dort möchte ich auch wohnen bleiben. Mich stört es nicht, täglich zu pendeln. Das ist Zeitzuwachs, den man nutzen kann, um sich in den Tag einzulesen. Das habe ich auch so gehalten, als ich in Frankfurt (Oder) über zwei Jahre lang den Europagarten leitete. Der brachte Sie dieser Tage in die Schlagzeilen, weil sich im Nachhinein ein Millionenloch bei den Einnahmen herausstellte Da muss man schon die Verantwortung teilen. Ich war nicht für die Geschäftsführung, sondern für den Inhalt verantwortlich. Dennoch: 900 000 Euro sind nicht gekommen, aber das lag vor allem an den überzogenen Einnahmeerwartungen von außen. Programm und Marketing, also mein Arbeitsbereich, sind in den kalkulierten Ansätzen geblieben. Inzwischen pendeln Sie täglich nach Potsdam, dem „Vorort“ Berlins, wie viele meinen. Vorort würde ich nie sagen, eher eine perfekte Ergänzung oder noch besser „Vorgarten“. Das ist positiv besetzt. Welche realen Chancen räumen sie dem „Vorgarten“ ein, europäische Kulturhauptstadt 2010 zu werden. Sehr gute. Potsdam ist sicher eine der europäischsten Städte Deutschlands. Das ist in der Architektur abzulesen, aber es gingen mit dem Potsdamer Abkommen auch Impulse von hier aus, die Europa bis heute prägen. Es gibt Stimmen, die sagen, Potsdam sei ein kulturtouristisches Megaziel: Hier vereinen sich Wissenschaft, Weltkultur, Tourismus. Auch die Nähe zu Berlin mit dem kulturlebendigen Raum macht uns zu einem absoluten Favoriten. Was noch nicht heißt, dass wir gewinnen. Aber schließlich sind wir ja alle Gewinner, auch wenn es nur einen Sieger gibt. Bei einer Spontanumfrage im Oktober 2003 rangierte Potsdam jedenfalls von 16 Kandidaten auf Platz 4. Potsdam ist positiv besetzt, anders als Osnabrück. Auch Görlitz hat es sicher schwerer, sich durchzusetzen, glaubhaft zu machen, so viele Touristen anzuziehen, obwohl die Stadt ein sehr spannendes Konzept hat. Ihnen wurde als Projektmanager angelastet, zu spät in die Werbung gegangen zu sein. Und auch die „Mona-Lisa-Kampagne“ sorgte für Unverständnis in der Öffentlichkeit. Wie gehen Sie mit der Kritik um? Mit kritischen Beiträgen habe ich überhaupt kein Problem. So viel Selbstbewusstsein muss man schon mitbringen. Selbst wenn ich ein Jahr früher mein Amt angetreten hätte, wäre ich nicht vorher in die Werbung gegangen. Wir sind absolut im Zeitplan und nicht im Hintertreffen. Gerade im Vergleich mit anderen Städten muss man sagen, dass es richtig war, dass wir relativ spät aufgestellt sind. Kassel hat jetzt schon die Talsohle erreicht. Ich weiß, wie kurzweilig das Zeitgefühl ist. Etablierte Veranstaltungen wie die Schlössernacht kann man schon jetzt bewerben. Bei etwas Neuem plädiere ich jedoch für Zeitnähe. Und doch hatte man bei der Präsentation des „Mona-Lisa“-Designs das Gefühl, dass Sie mit noch unausgereiften Ideen nach außen traten. Ja , da haben wir uns dummerweise von den Medien unter Druck setzen lassen. Wir wollten zeigen, dass wir arbeiten und etwas passiert. Aber in der Kommunikation war der Zeitpunkt einfach zu früh. Damit ging aber Ihr erster inhaltlicher Auftritt daneben Ich sehe das nicht so problematisch. Ich glaube an das ausgewählte Corporate Design. Dahinter stehen sehr professionelle Grafiker, für deren Zuschlag ich mich extrem einsetzte. Als Lehrer hätte ich ihnen die Note 1 gegeben. Sie setzen auf das geflügelte Wort „Stell dir vor“ und füttern es mit Inhalten. Es ist wie bei einem Setzkasten, der die verschiedensten Möglichkeiten zulässt und nichts aufoktroyiert. Zudem ist diese Werbung sehr bildlastig und funktioniert in jedem Land. 50 Prozent finden es nicht so schön, die anderen aber sehr gut. Es hebt sich ab. Es ist nicht ein bisschen anders, sondern ganz anders. Wir wollen nicht gefällig sein, sondern suchen die Konfrontation. „Stell dir vor“ muss aber auch nicht das Wort sein, das uns nun sechs Jahre begleitet. Es gibt da auch noch den vom Verein Kulturhauptstadt Potsdam kreierten Slogan „Potsdam ist Kult“ Den sehe ich genauso indifferent. Was wir jetzt entwickeln, kann in fünf Jahren schon wieder altmodisch sein. Wichtig sind die Inhalte. Graz hat, nachdem es den Zuschlag zur Kulturhauptstadt 2003 erhielt, sein komplettes grafisches Erscheinungsbild geändert. Seit längerem läuft in den Kinos eine Werbung für Potsdam als Kulturhauptstadt, die sehr dilettantisch daher kommt. Zeichnen Sie dafür verantwortlich? Nein. Sie schadet aber auch nichts. Mittelfristig werden wir sie ersetzen, ihr unser „Gesicht“ geben. Ein viel diskutiertes Thema ist die Finanzierung. Kann sich Potsdam diesen Höhenflug leisten? Ein Teil der Ausgaben werden sicher das Land und der Bund zahlen. Auch der EU-Segen kommt über ganz verschiedene Förderkanäle. Investitionen kosten natürlich richtig Geld, ziehen aber meist Fördermittel nach sich. Potsdam profitiert da auch von laufenden Projekten, wie die Schiffbauergasse und den Theaterneubau. Das sind schon finanzierte Pluspunkte. Aber: Wir wollen nicht nur in der Bundesliga spielen, sondern ein europäisches Prestigeobjekt werden, das ist nicht billig zu haben. Auch für Potsdam. Und nur eine halbe Kulturhauptstadt gibt es nicht, sonst wäre das Ganze ein Flop. In etwa zwei Monaten kann ich Genaueres sagen, was die Stadt aufbringen muss. Gerade bei Zahlen sollte man vorsichtig sein. Mit welchen Besonderheiten wollen Sie noch punkten? Natürlich mit Potsdam als Filmstadt und als Sitz der Wissenschaft. Man muss den Juroren glaubhaft machen, dass Potsdam in der Lage ist, Visionen durchzusetzen, und da schaut man auch zurück. Und die Stadt kann sehr wohl auf Kreativität und bürgerschaftliches Engagement verweisen. Allein der Pfingstberg ist bestes Beispiel. Aber auch das Thema Toleranz ist ein wichtiges Motiv, an dem wir uns entlang hangeln können. Da viele aus unserem Team aus der Kultur kommen, gibt es jede Menge tolle Ideen und wir haben den Luxus, daraus frei wählen zu können. Nun aber muss alles in ein Konzept fließen. Und zwar bis zum 31. März: abgabefein fürs Kulturministerium. Dieses Konzept muss sich lesen wir ein spannender Roman, den man gerne mit in den Urlaub nehmen würde. Die größte Schwierigkeit ist die knappe Zeit. Aber es gibt auch einen Vorteil: Es redet keiner rein. Wo liegen Potsdams Defizite? Es fehlt noch an Gastronomie und natürlich an einer Kunsthalle. Aber dieses Thema kann man auch an eine Kampagne koppeln. Kassel wird mit Kunst ins Rennen gehen, wir dagegen als Medienstadt Sollte Potsdam den Zuschlag als Kulturhauptstadt nicht bekommen, wäre das für Sie eine persönliche Schlappe? Nein, höchstens wenn wir auf Platz 16 landen. Dann vielleicht schon. Das Gespräch führte Heidi Jäger.

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