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Kultur: „Es taugt beides nichts“

Hannes Wader über Unrechtsstaaten, Wanzen und das Singen im Alter / Montag ist er im Nikolaisaal

Stand:

Der bekannte Liedermacher Hannes Wader gastiert am Montag, den 5. Februar um 20 Uhr im Nikolaisaal. Die PNN kamen mit ihm ins Gespräch.

Herr Wader, Sie sagten einmal, Sie seien aus der Zeit gefallen. Sie begannen mit Ihrer Musik, als der Rock gerade seinen Siegeszug startete und haben das Gegenteil davon gemacht.

Das war kein plötzlicher Entschluss. Ich sah lediglich keine andere Chance für mich. Ich bemerkte schon als Teenager, dass ich einfach zu langsam war. Ich kriegte vieles nicht mit und konnte nicht leisten, was andere leisten. Allein mein Beruf, ich habe Dekorateur in einem Schuhgeschäft gelernt. Ich fühlte mich 20 Jahre lang, heute noch, zurechtgestutzt. Weil ich einfach nicht leisten kann, was andere Leute leisten. Ich kann nicht einmal Skat spielen.

Was in Bielefeld, wo Sie herkommen, ein Problem ist.

Allein deswegen stand ich schon außen vor. Ich habe mir dann gesagt, ich mache meinen eigenen Stiefel und renne damit entweder gegen die Wand oder ich finde eine offene Tür. Ich habe eine offene Tür gefunden.

In den späten 60ern wurden Sie die Stimme der linken Intellektuellen.

Da staune ich heute noch drüber. Ich bin überhaupt kein politischer Kopf, dazu bin ich gar nicht geeignet. Aber vielleicht ist das kompensiert durch meine Dickköpfigkeit. Und meine persönliche Sicht der Dinge, die ich in meinen Liedern vermittle.

Mit dieser Dickköpfigkeit gehen Sie ja durchaus auch hausieren. Ihr neues Album thematisiert das schon im ersten Lied. Wie ist das, wenn das Publikum von einem Starrsinn erwartet?

(lacht) Im Grunde lenke ich ja ein. Ich sage, Leute, Ihr habt ja recht, ich will tun, was ich kann. Jemand, der sich auf eine Bühne stellt, hat auch eine Verantwortung. Das passt mir überhaupt nicht, aber ich sehe ein, dass es so ist. Und ich merke in zunehmendem Maße, in dieser Zeit der Neoliberalisierung der Welt, dass die Leute wieder mehr politische Inhalte wollen. Und zwar von mir! Aber ich will es eigentlich nicht so recht, verstehen Sie?

Bringen Sie gerne Tagespolitik auf die Bühne?

Mache ich gar nicht. Dazu bin ich viel zu langsam, ich kann so nicht denken. Ich weiß nicht, wie das kommt, dass mich die Leute für einen politischen Liedermacher halten.

Sie schreiben ja aber durchaus politische Lieder, für die Sie oft angegriffen wurden.

Die sind politisch, aber nicht aktuell.

So wie die Forderung im Schlusslied nach einem „Neuen Sozialismus“?

Ja, zum Beispiel. Das ist durchaus ein politisches Statement. Und ich stehe auch dahinter, weil ich meinen alten sozialistischen Überzeugungen nicht untreu werden kann.

Sie sind 1991 nach der Wende aus der DKP ausgetreten. Warum dieser Zeitpunkt?

Ich war damals in einer sehr persönlichen Krise. Ich hatte keine Lust mehr zu singen. Das haben die Leute gemerkt und mir übel genommen. Ich flog mit der Wende aus allem raus, auch aus meiner sozialistisch-kommunistischen Weltanschauung. Mit der Öffnung der Mauer, dem Untergang der Sowjetunion und dem Auftauchen mir damals nicht so geläufiger Fakten, kam alles zusammen. Ich wollte wieder meinen alten Zustand zurück, als „freischwebendes Arschloch“, wie man es damals nannte, wenn einer irgendwie links war. Ich wollte nicht mehr parteigebunden sein.

Heißt das, Sie erkannten erst 1991, dass die DDR ein Unrechtsstaat war?

So ganz sehe ich das heute noch nicht, dass sie nur ein Unrechtsstaat war. Nicht unrechter als dieser Staat hier. Aber das ist viel zu kompliziert, ich bin damit noch nicht fertig. Natürlich, sie ist ein Unrechtsstaat, aber was heißt das?

Dass man seine Bürger einsperrt, bespitzelt, rechtlos macht, erschießt?

Ich bin hier im Westen bespitzelt worden, ich bin hier unterdrückt worden mit meinen Ansichten. Und zwar massivst, in meiner Existenz bedroht, über Jahrzehnte. Und da braucht keiner zu kommen und sagen, die DDR wäre schlechter gewesen als das, was wir im Westen haben. Es taugt beides nichts.

Einmal waren Sie doch auf der Höhe Ihrer Zeit: Als Gudrun Ensslin als Reporterin getarnt in Ihrer Wohnung Bomben gebastelt hat.

Nein, ich würde nicht sagen, dass ich damals auf der Höhe der Zeit war, sonst wäre das nicht vorgekommen.

Die Nähe zur RAF wurde Ihnen aber unterstellt. Sie waren auf dem Höhepunkt Ihres Erfolges und hatten plötzlich keine Auftrittsmöglichkeiten mehr.

Ich stand jahrelang unter Beobachtung. Der plötzliche Ruhm war für mich existenzrettend angesichts des staatlichen Drucks und der Medien, die mich boykottierten. Das fiel mit meinem künstlerischen Durchbruch zusammen. „7 Lieder“ war wie eine Explosion. Das hat mich schwer durcheinander gebracht. Ich war dieser Zeit und ihren Widersprüchen überhaupt nicht gewachsen. Auf der einen Seite der plötzliche Ruhm, zeitgleich auf der anderen die Verfolgung mit Auftrittsverbot, Einreiseverbot nach Österreich und so weiter. Es war grauenhaft. Ich bin damals zum Skelett abgemagert. Und unsere West-Stasi: Die kamen mit Hüten und Trenchcoats in diese Gammlerkneipen, wo die Leute barfuß, mit langen Haaren und Bärten saßen und setzten sich an den Nebentisch. Ständig musste ich Wanzen aus meinen Telefonen entfernen, und das über Jahre.

Wie hat sich das aufgelöst?

Durch die Zeit und die Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Man konnte mir nichts anhängen.

Nach den 70ern folgte die große Krise der Liedermacher und Barden. „Ich musste kotzen, wenn ich nur an die Gitarre dachte“, sagten Sie dazu. Wie kam es dazu, wie haben Sie sich befreit?

Es gab viele Gründen, eine depressive Phase mit Enttäuschungen persönlicher, politischer, beruflicher, weltanschaulicher Art. Ich sah keine Perspektive mehr in dem, was ich verfochten hatte. Ich musste von vorne anfangen, in Clubs vor 100 Leuten maximal. Es folgte eine Art innerer Einkehr. Ich hatte damals eine junge Familie und begonnen, meine Einschätzung zu ändern und meine Situation realistisch zu sehen. Dass ich vielleicht den schönsten Beruf der Welt habe, privilegiert bis zum Gehtnichtmehr. Das habe ich so weit gebracht, bis ich wieder gerne gesungen habe. Und je älter ich werde, desto lieber werde ich. Und ich singe besser als früher.

Das Interview führte René Zipperlen

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