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Kultur: Existentielle Bemühungen

Ein Gastspiel von „Und Heimat – Eine Oper“ im Hans Otto Theater

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Ein Gastspiel von „Und Heimat – Eine Oper“ im Hans Otto Theater „Nehmt Abschied Brüder, ungewiss ist alle Wiederkehr, die Zukunft liegt in Finsternis und macht das Herz uns schwer.“ Der fast leere Bühnenraum mit weißem Boden und weißer durchscheinender Hinterwand ist hell erleuchtet. Eine schick gekleidete Frau über fünfzig, ein Mann in Jeans und Lederjacke, ein zweiter in Hemd und Anzug irren auf der Bühne umher und murmeln vor sich hin. Das Murmeln wird zu lautem Singen, doch der Text hat nichts mit der üblichen Übersetzung jener schottischen Weise zu tun: „...wo ist meine Unterhose...ich hab keinen Bock auf Familienfeiern...“ So begann der Theaterabend in der halb gefüllten Probebühne des Hans Otto Theaters, der Bekanntes um dichtete oder auf ungewohnte Weise vortrug, dadurch in den Witz trieb und übertrieb, um plötzlich abzubrechen und etwas anderes zu beginnen. Zwar wurde der Abend umklammert von den Plänen der Frau, die aus einem sanierten Gebäude in tagebauversehrter Landschaft ein Luxushotel und Erholungsgebiet zaubern will und dem Scheitern dieser Pläne. Doch eigentlich ging es nicht um Existenzgründung in der Nachwendezeit, sondern um Familienprobleme und die Probleme der Existenz an sich. „Und Heimat – Eine Oper“ nennt sich die Collage aus bekannten Melodien, aus Dialogen und Monologen von Amina Gusner und Liedern des Schauspielers Werner Eng. Vergangenen Dezember hatte die Produktion im Berliner Theater unterm Dach Premiere, nun war sie in Potsdam als Gastspiel zu erleben. Amina Gusner hat den eigenen Text inszeniert. Die Familie, um die es geht, besteht aus der Mutter und ihren zwei erwachsenen Söhnen, der Vater ist schon lange weg. Der Ältere lebt, wie es verlangt wird: Job, Frau, Kind. Gespielt von Peter René Lüdicke, der sich in volksbühnenhafte Ausbrüche stürzt. Der Jüngere lebt weniger angepasst: keine Lust auf Arbeiten, dafür Rauchen, Saufen, Drogen, Sex und Rock. Werner Eng mit schönem Gesang und geschickten Riffs, sein Schauspiel dagegen leider häufig nur auf Lacher des Publikums aus. Der ältere Bruder hadert mit seinem scheinbar perfekten Leben und dessen Langeweile: „Du trottest durch deine Verpflichtungen. Das Wort ,Freiheit verschwindet aus deinem Vokabular und an seine Stelle tritt das Wort ,Reife. Reife erfordert Abstumpfen des Geistes, Warten auf das Ende.“ Der Jüngere gibt seiner Mutter die Schuld daran, dass er mit dem Leben nicht klar kommt: „Du hast deine Kinder ja immer allein gelassen! Du verstehst mich nicht!“ Die Mutter, von Ursula Staack sehr bestimmt, maßvoll und dadurch überzeugend gespielt, übt Gelassenheit, doch in Wahrheit versucht sie mit Yoga ihre Aggressionen zu bekämpfen. Aggressionen, die sich weniger gegen die Söhne richten, als gegen eigene Fehler und gegen Einsamkeit, Enttäuschung, Alter: „Als Frau über fünfzig hast du einfach die Arschkarte gezogen. Naja, dafür sterben die Männer früher.“ Amina Gusners Figuren hadern mit ihren Ängsten, Erwartungen, mit ihrem Versagen, sind unfähig, ihren Nächsten das zu geben, was sie brauchen und wollen einfach nur weg. Bis sie ihre Fehler und ihre wahre Heimat zu erkennen und zu akzeptieren imstande sind. Der latenten Lächerlichkeit solch existentieller Ergüsse versucht die Inszenierung durch Brüche, (angestrengte) Witze und Selbstironie vorzubeugen. Doch sie kann der Lächerlichkeit und allgemeinen Plakativität nicht entfliehen. Und das Eminem-Zitat „Verzeih Mama, ich wollte dir nie weh tun, ich wollte nie, dass du weinst...“ macht besonders deutlich, warum. Hier ist einer, der es wirklich so meint und den es etwas angeht, dort sind welche, die es spielen und denken, diese Themen müssten doch jeden heutzutage interessieren und etwas angehen. Doch der Theaterabend hinterließ nur die Ahnung, dass es auf einer hiesigen Bühne um ganz anderes gehen sollte und dass das Gesehene nichts war als Schaumschlägerei. Dagmar Schnürer

Dagmar Schnürer

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