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Kultur: Expressive Klangwelten

Der Leidensweg Jesu: Eine bewegende Aufführung von Johann Sebastian Bachs Johannespassion in der Erlöserkirche

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Die am Karfreitag 1724 in der Leipziger Nikolaikirche erstmals aufgeführte Johannespassion von Johann Sebastian Bach zählt neben der Matthäuspassion zu den eindrucksvollsten Vertonungen der Leidensgeschichte Jesu. Auf dem Fundament spätbarocker und zugleich expressiver Klangwelten vereinen sich Wort und Ton zu einer faszinierenden Bibelauslegung. Mit großen, weitausgreifenden Chören, eindringlichen Chorälen, bewegenden Arien und spannungsvollen Rezitativen erlebt der Hörer Jesu Leidensweg: angefangen vom Verrat im Garten Gethsemane und der Auslieferung über die Verurteilung und Kreuzigung bis zum Tod am Kreuz auf Golgatha und zur Grablegung.

Die Potsdamer Kantorei hat sich unter der Leitung von Ud Joffe diesem bedeutenden Werk der Kirchenmusik und darüber hinaus angenommen und hat es am Samstagabend in ihrem Stammhaus, in der Erlöserkirche, zur Aufführung gebracht. Der Chor gehört neben dem Evangelisten musikalisch zum Hauptprotagonisten der Johannespassion. Prägnant und reaktionsschnell erfüllte die Potsdamer Kantorei in einem straffen Spannungsbogen ihre umfangreichen Aufgaben, vom Anfangs- bis zum Schlusschoral. Wie gemeißelt stellte der Chor die Wutausbrüche der aggressiven Volksmassen dar, wenn sie „Kreuzige, kreuzige!“ riefen.

Ganz anders die Choräle, die das Bachsche Werk gliedern. Hier konzentrierte sich Ud Joffe auf den Melos, den Atem, mit dem die langen Phrasen entstehen und wieder verklingen: eine hinreißende, fein die oft überraschenden harmonischen Modulationen herausarbeitende Interpretation. Wie überhaupt der Chor sich von seiner besten Seite zeigte: homogen, intonationssicher, farbenreich und dynamisch.

Deutung und Deutlichkeit des Handlungsgeschehens versuchte Joffe erfolgreich durch eine pointierte Klangrede zu erzielen. Dabei wurde die Szene zwischen Jesus, Pilatus sowie dem Volk in ihrer immens dramatischen Handlung zum Zentrum der Aufführung. Hier wusste der Tenor André Khamasmie mit einer vielschichtigen Deutung der Evangelistenpartie zu überzeugen. Mit seiner schlanken, sehr charaktervoll und individuell klingenden Stimme nahm er für sich ein. Bei den oftmals nur durch manch harsche Wendung in der Erzählung zu erreichenden tückischen Höhen geriet er an die Grenzen seiner Stimme. Aber er ist erzählerisch stark, mit plastischer Diktion begabt und zeigte sich auch arios sattelfest. Der Bariton Joachim Goltz gab der Jesus-Partie stimmlich und inhaltlich viel Souveränität. Er wurde zu einem echten Gegenspieler des römischen Statthalters, die Unbeirrbarkeit des Gottessohnes deutlich machend. Der Bassist Carsten Krüger gab Pilatus und die anderen Personen des Geschehens mit ausdrucksstarker Stimme. Esther Hilsberg sang die Sopranpartie schlank, natürlich und einfühlsam. Die Mezzosopranistin Regina Jakobi, eine vorzügliche Bach-Sängerin, blieb in ihrer Interpretation der Arie „Es ist vollbracht“ erstaunlich kühl.

Das Neue Kammerorchester Potsdam setzte auf hohe Transparenz. Ohne Aufrauhung des Klangs unterstützten sie die Sängerinnen und Sänger, sorgten für eine spezifische Einfärbung und Plastizität des Klangbilds. Eine bewegende Aufführung, von der man sich in Stille und Nachdenklichkeit verabschiedete, die aber in Erinnerung bleibt. Klaus Büstrin

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