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Kultur: Expressive Poesie
Interreligöse Musik-Begegnung: Am kommenden Samstag beginnt die 12. „Vocalise“
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Man könnte in einem Musikfestival viele Werke aneinanderreihen, sich Goethes Forderung einfach anschließen: „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. Doch Ud Joffe möchte das Musikfestival „Vocalise“ von „übergeordneten Gedanken“ bestimmen lassen. Beim 12. Potsdamer Vocalfestival, das am kommenden Samstag in der Erlöserkirche beginnt und drei Wochen lang stattfindet, stehen Psalmen und geistliche Poesie im Mittelpunkt.
Die 150 Psalmen, die dem König David zugeschrieben werden und im Alten Testament Aufnahme fanden, sind gesättigt mit Lebenserfahrung – voll individueller und gemeinschaftlicher Höhen und Tiefen. Die Psalmen sind Gebete, expressive Poesie. Singen und Flehen, Jauchzen und Jammern, Flüstern und Schreien, Danken und Protestieren – kein Thema des Menschen wird in den Texten ausgelassen. Bis heute können sie auch als Schule der Poesie betrachtet werden und Musiker wie Dichter dazu anregen, geistliche Lieder zu schreiben. Sie haben immer noch eine große rituelle und therapeutische Kraft. Auch die geistliche Poesie aus verschiedenen Jahrhunderten, die Komponisten zu Vertonungen anregten, gehört zu den Schätzen abendländischer Kultur.
Eröffnet wird das Festival mit seinen zehn Konzerten, das von „Musik an der Erlöserkirche“ und unter der künstlerischen Gesamtleitung des Dirigenten Ud Joffe veranstaltet wird, mit zwei Werken der Oratorienliteratur, mit Felix Mendelssohn Bartholdys Sinfonie-Kantate „Lobgesang“ sowie Johann Sebastian Bachs „Magnificat“, einer Vertonung des Lobgesangs der Maria aus dem Lukas-Evangelium. Maria jubelt über ihr unfassbares Glück, das mit der angekündigten Geburt Jesu auf sie zukommen wird. Mendelssohns „Lobgesang“, eine Mischung aus Psalmen und anderen Bibelzitaten sowie dem Choral „Nun danket alle Gott“, erklang erstmals zum 400. Jubiläum der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Gutenberg am 25. Juni 1840 in der Leipziger Thomaskirche unter der Leitung des Komponisten. Die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche sowie das Neue Kammerorchester Potsdam werden es gemeinsam mit den Gesangssolisten Esther Hilberg, Regina Jakobi, Markus Schäfer und Sebastian Noack zu Gehör bringen.
Der Oratorienchor Potsdam gehört von Anfang an zu den ständigen Mitwirkenden der „Vocalise“. In diesem Jahr wird er unter der Leitung von Matthias Jacob in der Friedenskirche gemeinsam mit dem Philharmonischen Orchester Cottbus ein kompositorisches Großwerk aufführen: den 100. Psalm von Max Reger. „Man muss in der Musica sacra bis auf die Jubelchöre der Bach‘schen Hohen Messe und auf das Gloria von Beethovens Missa solemnis zurückgehen, um eine von gleicher Ausdrucksgewalt und Größe zu finden“, schrieb der Dirigent und Reger-Zeitgenosse Fritz Stein. Bachs Weihnachtsoratorium mit der Potsdamer Kantorei und dem Neuen Kammerorchester bildet den Abschluss des Festes. Das populäre Werk, das von mitreißender Festlichkeit ist, hat in seinen ruhigen, betrachtenden Momenten geistliche Poesie aus der Barockzeit aufzuweisen, die von großer Schönheit ist. Ud Joffe, der das Weihnachtsoratorium leitet, ist auch der Dirigent des Sinfoniekonzerts des Kammerorchesters, das mit Werken von Haydn und Prokofjew aufwartet. Es ist ein rein instrumentales Konzert, ein Lobgesang ohne Text.
Zwischen diesen groß besetzten Veranstaltungen gibt es eine Reihe von Konzerten, die nicht minder das Interesse der Zuhörer beanspruchen wird: die Wiedergabe von Brahms-Motetten in Gottesdiensten, der Liederabend mit dem Bariton Tobias Berndt und dem Organisten Tobias Scheetz, das Konzert mit dem Blick des Leipziger Calmus Ensembles auf den 116. Psalm, die Gegenüberstellung von geistlicher und weltlicher Musik mit den Profeti della Quinta, einer jungen israelischen Vokalgruppe. Sie singen Werke von Salomone Rossi, der am Hof des Herzogs von Mantua im 17. Jahrhundert angestellt war und auch für die Synagoge komponierte. Eines der Höhepunkte wird das Konzert „Sacred bridges“ sein, in dem christliche, jüdische und muslimische Psalmvertonungen zu hören sind. Dazu wird neben dem Neuen Kammerchor und der Cammermusik Potsdam auch das Ensemble Sarband erwartet. Nur selten erklingen hierzulande Werke des polnischen Musikers Ali Ufki, der im 17. Jahrhundert als Übersetzer und für die Musik des Sultans in Konstantinopel verantwortlich zeichnete. Auch dieses Konzert gehört zur interreligiösen Begegnung von Juden, Christen und Muslime, mit der die „Vocalise“ das Gemeinsame betonen möchte.
Friedenskirche, Am Grünen Gitter 3, und Erlöserkirche, Nansenstraße 6, Karten zwischen 10 und 20 Euro im Vorverkauf in der Stiftungsbuchhandlung, Gutenbergstraße 71/72, Tel.: (0331)293400
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