zum Hauptinhalt
Füreinander. Bibiana Beglau (l.) und Nadja Uhl in Die Stille nach dem Schuss.

©  FM

Kultur: Falsches Leben, richtiges Leben

Filmklassiker vorgestellt: „Die Stille nach dem Schluss“ zur Nadja Uhl-Retrospektive im Filmmuseum

Stand:

Vor allem Babelsberger Filmgeschichte wird im Filmmuseum gehegt und gepflegt. Das heißt, die vielfältigen Dokumente, Kostüme, Technik, Nachlässe werden gesammelt und dem Publikum präsentiert. Und natürlich kommen cineastische Kostbarkeiten zur Aufführung. In unserer Serie „Filmklassiker vorgestellt, die gemeinsam mit dem Museum entstand, stellt Birgit Acar, Mitarbeiterin im Filmmuseum Potsdam, heute „Die Stille nach dem Schuss von Volker Schlöndorff vor, der am heutigen Freitag und Samstag im Rahmen der Nadja Uhl-Retrospektive im Filmmuseum zur Aufführung kommt. Im Anschluss an die heutige Vorführung ist Nadja Uhl ab 20 Uhr zum Filmgespräch zu Gast.

Ein rasant gefilmter Banküberfall. Das gesamte bei der „Enteignungsaktion“ erbeutete Kleingeld bekommt ein Bettler. „Wir dachten, dass wir die Größten sind“, erinnert sich Rita Vogt (Bibiana Beglau) zu Anfang des Films. Ihr Sinn für Gerechtigkeit und die Liebe zu Anführer Andi haben sie zur Terroristin werden lassen. Aus der heiteren Anarchie wird schnell blutiger Ernst. Schlöndorff erzählt in Ellipsen. Nach einem Polizistenmord und aus enttäuschter Liebe will Rita aussteigen. Gewalt war für sie der falsche Weg. Rita erinnert sich an einen Kontakt beim Ministerium für Staatssicherheit, Offizier Erwin Hull.

Lakonischer als den Rest der Geschichte, aber ebenso unterhaltsam, zuweilen komisch handelt der Film Ritas RAF-Zeit in einer knappen halben Stunde ab. Sie taucht in der DDR unter. Hull: „Dann beginnen wir jetzt mit deiner Legende.“ Rita: „Was ist meine Legende?“ Hull: „Dein falsches Leben. Das jetzt dein richtiges wird.“ Rita Vogt wird Susanne Schmidt, die aus Überzeugung in den Osten gegangen ist. Rita lässt sich auf das Leben in der DDR ein: Normalität und Arbeitsalltag werden für sie zur Befreiung. Dass dies das richtige Leben sein soll, kann ihre Kollegin Tatjana nicht verstehen. Sie fühlt sich eingesperrt und will weg. In einer Großaufnahme wird die von Nadja Uhl gespielte, trunksüchtige junge Frau eingeführt. In Susannes Leben – und für den Film – nimmt sie bald eine zentrale Rolle ein.

Die Großaufnahme lässt uns quasi in Tatjana hineinblicken. Für einen Augenblick erscheinen hier die widersprüchlichen Eigenschaften der Figur gebündelt, die uns Nadja Uhl in ihrem hervorragenden Spiel auffächert und sehr nahe gehen lassen wird. Tatjanas jugendliche Schönheit, die schon erloschen scheint, ihr Aufbegehren und Aufgeben, ihre fiebernde Fragilität und wütende Kraft, ihre Verunsicherung und Standhaftigkeit, wenn es später darum geht, für Susanne einzustehen. – Einmal sagt Tatjana, dass sie unsterblich ist. So taucht die Figur bis zum Ende des Films immer wieder auf.

Beim Tanzen auf einem Firmenfest kommen sich die Frauen näher. Eine starke Freundschaft und Liebe beginnt – vielleicht die einzig wahre und richtige in den Leben der scheinbar ungleichen Charaktere. Doch Ritas Fahndungsbild erscheint im Ost-Fernsehen. Die Meldung überrascht sie bei einem Fest in Tatjanas Familie. Wieder tanzen die Beiden miteinander, wieder wird der Tanz zum Wendepunkt. Tatjana spürt, dass etwas in der im Unterschied zu ihr sonst so gefestigten Susanne zerbrochen ist – so wie sie, die Außenseiterin, Susannes anderes, abenteuerliches Leben erahnt hatte und sich davon angezogen fühlte.

Wenig später wird diese von einer Kollegin erkannt und muss ein drittes Leben beginnen. Von der Vergangenheit eingeholt muss das erste falsche Leben einem zweiten weichen und wird nie zum richtigen Leben führen. Darin liegt die Tragik von Ritas Geschichte, die Schlöndorff fast entpolitisiert erzählt. Am Ende steht die Emotion. Und ein Motto, mit dem sich Schlöndorff und Autor Wolfgang Kohlhaase dagegen absichern, den Film als „wahre Geschichte“ einer tatsächlich in der DDR untergetauchten Terroristin zu sehen – wie Inge Viett, die erfolglos das Plagiat ihrer Autobiographie einklagte. „Alles ist so gewesen, nichts war genauso“ spricht aber auch für die lakonische Erzählhaltung, die weder vorgibt, alles zu wissen, noch über falsch und richtig urteilen zu können. Nadja Uhl brachte der Film mit der Hauptdarstellerin Bibiana Beglau 2000 den Silbernen Bären der Berlinale ein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })