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Kultur: Familie mit Zivilcourage

In der Stadt- und Landesbibliothek: Anna Hackl sprach über die Rettung von russischen Häftlingen

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„Ich weiß schon, wer du bist“, sagte die österreichische Bäuerin Maria Langthaler 1945 in einer kalten Februarnacht, als der Russe Michail Rybtschinskij an ihre Tür klopfte. Ihn und seinen Gefährten Nikolai Zemkolo versteckte die einfache Frau drei Monate unter Lebensgefahr in ihrem eigenen Haus. Beide Häftlinge waren in einer spektakulären Aktion aus dem nahe gelegenen KZ Mauthausen geflohen

Achtklässler der Lenné-Gesamtschule kamen in die Stadt- und Landesbibliothek und lauschten aufmerksam den Worten von Anna Hackl. Die damals 14-Jährige ist die jüngste Tochter der Familie Langthaler und konnte, als sei es gestern gewesen, von der mutigen Rettungstat erzählen.

Sie schilderte ihre Mutter Maria mit warmherzigen Worten als eine tiefreligiöse und lebenstüchtige Frau, die frühzeitig ahnte, was die Naziherrschaft für Österreich bedeuten würde. „Der bringt uns Unheil“, war ihre feste Überzeugung und sie versuchte sich, so gut es eben ging, der „neuen Lebensweise“ zu entziehen. Von ihren sechs Söhnen mussten vier bald in den Krieg und die Mutter legte fest, dass für sie jeden Tag ein Familienmitglied in die Kirche gehen und beten müsse. Alle ihre Söhne haben überlebt. „Du hast auch eine Mutter, die auf dich wartet“, sagte sie in jener Nacht noch zu Michail und „adoptierte“ ihn und seinen Gefährten kurzerhand. Anfangs gegen den Willen ihres eigenen Mannes, übernahm sie die volle Verantwortung für ihr Handeln. Denn in jener Nacht waren etwa 500 russische Offiziere aus dem KZ Mauthausen geflohen und wurden in der, in die Geschichte eingegangenen Aktion „Mühlviertler Hasenjagd“ gnadenlos verfolgt.

Der österreichische Schriftsteller Walter Kohl hat die Geschichte der Flucht und die Rettung von Michail und Nikolai in seinem vor zwei Jahren erschienenen Buch „Auch auf dich wartet eine Mutter“ verarbeitet. Er las den sichtlich berührten Schülern das „Ausbruchskapitel“ vor. Mit „Holzpantinen, Steinen, Kohle, Betonbrocken und Seife“ setzten sich die zu allem entschlossenen Häftlinge gegen ihre schwer bewaffneten Bewacher zur Wehr und überwanden sie schließlich. Unermesslich das Leid der zuvor der Kleidung beraubten Häftlinge in der Krankenbaracke und derer, die die „menschliche Leiter“ in die Freiheit bilden mussten. Aber die meisten Geflohenen erlangten sie nicht und endeten auf einer „Blutstraße“. Anna Hackls ältere Schwester Miazzl wurde damals Augenzeugin dieser Greueltaten und berichtete zu Hause davon. Der jüngere Bruder Alfred musste sich im sogenannten Volkssturm an der Suche nach den Entflohenen beteiligen und konnte die Häscher von den Versteckten im eigenen Elternhaus ablenken.

„Was hätt“ man denn sonst tun sollen", haben viele geantwortet, als sie nach dem Krieg zur Rechenschaft gezogen wurden. Familie Langthaler antwortete das Gleiche und hatte sich auch nach der Befreiung durch ihr mitmenschliches Eintreten nicht nur Freunde gemacht. Walter Kohl indes hat schon viele Zeitzeugen befragt und während er vorher hauptsächlich „geballtes Grauen“, wie in den Gesprächen mit dem Arzt, der 15000 Menschen vergaste, erfuhr, war er durch die humane Tat der Frauen zutiefst berührt.

Michail Rybtschinskij ist heute 92. Und nachdem sie in der Zeit des Kalten Krieges 19 Jahre lang nichts voneinander gehört hatten, treffen sich die Familien seitdem regelmäßig. Irgendwann hat er erklärt, warum seine Wahl auf das Haus der Langthalers fiel: Ein altes Grabkreuz, das an der Scheune lehnte, war ihm Zeichen, „das da gute Leute leben“.

Anna Hackl, die vitale 75-Jährige, erzählt jungen Menschen in Österreich und in Deutschland von ihren Erlebnissen. Die kleine grauhaarige Frau wünscht sich, „dass so was nie mehr kommt“. Für ihr unermüdliches Engagement erhielt sie den oberösterreichischen Menschenrechts- preis.

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