Kultur: Familienqual
„Vier Fenster“ – Gespräch im Filmmuseum
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Christian Moris Müller wusste, dass sein Film „Vier Fenster“, der im April in den deutschen Kinos lief, für die Zuschauer eine Zumutung werden könnte. „Unwohl und verkrampft“, beschrieb eine der vielen interessierten Zuschauerinnen nach der Vorstellung ihr Gefühl, nachdem sie das streng komponierte Familiendrama am Dienstag im Filmmuseum gesehen hatte. Vielleicht, sagte Moris Müller dazu im Filmgespräch mit dem Moderator Lothar Wellmann, sei die schwierigste Entscheidung für ihn gewesen, an seinem eigenwilligen dramaturgischen Konzept trotzdem festzuhalten.
Vier Familienmitglieder – Mutter, Vater, Tochter und Sohn – werden in vier präzise komponierten Kapiteln beobachtet. Es ist ein Film in Nahaufnahme. Er zeigt die Sehnsüchte, dunkle Seelengruben und schmutzige Ecken, das ganze bittere Zeug, das in Familien mitschwingt. Moris Müller, dessen erster Langfilm ein Dokumentarstreifen war, brauchte keine Fiktion bemühen. „Vier Fenster“ ist ein Spielfilm, der dokumentarisch die Realität zeigt.
Alles ist eng hier: Der Fahrstuhl, in dem die Kamera in den ersten drei Minuten mitfährt und sofort Klaustrophobie erzeugt. Die beiden Wohnungen des Ehepaares und der Tochter, die gleich über ihnen wohnt. Auch die Video-Box im Eros-Center, in dem der fast erwachsene Sohn homosexuelle Liebe sucht.
Moris Müller, Absolvent der Münchener Filmhochschule, Baletttänzer, Schauspielschüler in New York und diplomierter Kommunikationsdesigner, will, dass der Zuschauer nahe an seinen Charakteren ist. Aber die Identifikation mit den Figuren, die oft im Kino mit Tricks erreicht würde, so der Regisseur, halte er für gefährlich. Daher steht die Kamera häufig außerhalb des Raumes, in dem die Handlung spielt. „Ich wollte, dass sich der Betrachter ab und zu daran erinnert, nur Zuschauer zu sein“, sagte er. Wenn die Mutter (Margarita Broich), voller Begierde, aber vergeblich im frisch bezogenen Ehebett wartet, dass ihr Mann (Thorsten Merten „Halbe Treppe“) zu ihr schlüpft, nimmt das Objektiv eine Schlüssellochperspektive auf dem Flur ein. Wenig später blickt das Gesicht des Gatten in Nahaufnahme durch dieselbe Tür. Seine Augen sind in dieser langen Einstellung tatsächlich wie „Fenster der Seele“, wie der Volksmund sagt: Abscheu, Begierde, Erinnerung, alles zusammen hat Kameramann Jürgen Jürges meisterhaft festgehalten.
Christian Moris Müller bekennt, dass er den deutschen Kamerastar und dreimaligen Träger des deutschen Filmpreises, der lange mit Rainer Werner Fassbinder, mit Wim Wenders und Michael Haneke („Funny Games“) gedreht hat, nur unter einem Vorwand für seinen Low Budget Film gewinnen konnte. „Da ich nicht mit bekannten Schauspielern aufwarten konnte, hatte ich nur das Drehbuch“, erzählt Moris Müller. Ein Jahr hatte er an diesem geschrieben. Doch Jürges hatte noch nie mit einer Videokamera gearbeitet. Für mehr reichte das Geld jedoch nicht. „Dann wird das mein erster Videofilm“, hatte Jürges innerhalb eines Tages nach Lesen des Drehbuchs entschieden.
„Ein Traum“ für den Regisseur. Denn zusammen mit Jürges wurden die Schauspieler zur Höchstleistung geführt. Diese Kamera ruht auf ihren Gesichtern in der Totalen und eröffnet damit Einblicke in die hinteren Bereiche, in denen Liebe und Hass, Wut und Zuneigung so dicht nebeneinander liegen, dass sie nicht mehr mit Worten zu fassen sind. Das Bild einer „Familie als Modellversuch“, so Christian Moris Müller. Matthias Hassenpflug
Matthias Hassenpflug
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