Kultur: „Farbe bewirkt Lebendigkeit und Nähe“
Peter Walther über Farbfotografien aus dem Ersten Weltkrieg / Buchvorstellung in Potsdam
Stand:
Herr Walther, können uns Farbbilder anders oder mehr vom Ersten Weltkrieg erzählen als Schwarz-Weiß-Bilder?
Beim Betrachten der Farbbilder ergibt sich für mich ein doppelter Effekt. Zum einen ist unser historisches Bildgedächtnis, was den Ersten Weltkrieg betrifft, von Schwarz-Weiß-Bildern geprägt. Daher wirken diese Farbfotos auf den ersten Blick befremdlich und wir glauben, es sind im Nachhinein kolorierte Schwarz-Weiß-Fotos. Dann aber sehen wir bunte Uniformen und Militärgerät, wir sehen das grüne Gras, den blauen Himmel. Wir erkennen, dass die Akteure von damals nicht irgendwelche Außerirdischen waren, sondern die eigenen Großväter oder Urgroßväter. Die Zwanzigjährigen von damals waren die alten Leute in meiner Kindheit, die saßen ja, wenn sie zwei Kriege überlebt hatten, noch mit am Kaffeetisch der Familie. Die Farbe bewirkt also eine Lebendigkeit und Nähe, die wir so bei den Schwarz-Weiß-Fotografien nie hatten. Neben diesem sinnlichen Effekt hat die Farbe auch noch einen dokumentarischen Mehrwert, wer weiß etwa heute noch, dass die Luftschiffe zu jener Zeit knallgelb waren und die Lkw froschgrün.
Was sofort auffällt, ist die große Farbigkeit bei den Soldaten. Die sehen nicht so aus, als würden sie in den Krieg ziehen, sondern zur Parade gehen.
Ja, dass beispielsweise die Uniformen der französischen Armee zu Beginn des Ersten Weltkrieges noch eine unglaublich folkloristische Farbigkeit haben. Das war Tradition, seit der Französischen Revolution haben die Soldaten diese roten Hosen getragen. Aber 1914 wurden sie für die moderne Waffentechnik zu perfekten Zielscheiben. Das blieb natürlich nicht lange so, denn schon Anfang 1915 wurde damit begonnen, die Truppen neu einzukleiden. Nicht weniger bunt waren die Truppen gekleidet, die von den Franzosen und Engländern in den Kolonien rekrutiert worden waren. Selbst die Schotten haben auf ihr Tartan-Band nicht verzichtet.
Wie sind Sie auf diese Farbfotografien gestoßen, die Sie in dem Bildband „Der Erste Weltkrieg in Farbe“ vorstellen?
Fotografiegeschichte hat mich schon immer interessiert. Vor einem Dutzend Jahren stöberte ich in einem Potsdamer Antiquariat und fand ein Buch mit dem Titel „Die Mark Brandenburg in Farbenfotografie“. Dieses Buch stammte aus dem Jahr 1912, was ich damals nicht glauben konnte. Dann habe ich mir zuerst die deutsche, später auch die englische und französische Fachliteratur besorgt und Kontakte zu der anfänglich überschaubaren Gemeinde geknüpft, die sich für das Thema interessiert. Dabei ist mir bewusst geworden, dass der Weltkrieg von 1914 bis 1918 die erste kriegerische Auseinandersetzung war, die mittels Farbfotografie dokumentiert wurde. Der Jahrestag des Kriegsausbruchs bot den passenden Anlass zur Publikation dieser Bilder. Dabei hat der Verlag auf das Interesse an den Bildern über Deutschland hinaus gesetzt und den Bildband in drei Sprachversionen produziert. Bei uns stand der Erste Weltkrieg, anders als in Frankreich, England oder selbst den USA, ja lange im Schatten des nachfolgenden Krieges und der Nazi-Diktatur.
Nach welchen Kriterien haben Sie die 320 Farbfotografien für den Bildband ausgewählt?
Zum einen ging es um die ästhetische und technische Attraktivität der Motive. Zum anderen ist der Bildband ja auch eine Art Chronologie der Ereignisse, so dass der Betrachter sich von der Vorkriegszeit, dem Kriegsbeginn, der Mobilmachung, dem Alltag an der Front bis hin zu den Siegesfeiern ein Bild vom Geschehen machen kann.
Wer hat an der Front in Farbe fotografiert?
Das waren durchweg Profis und am Anfang sehr wenige, die auf eigene Faust fotografierten, um damit Geld zu verdienen. Die versuchten, so nah wie möglich an die Front zu kommen, was nur mit Unterstützung des Militärs möglich war. So hat beispielsweise der französische Fotograf Jules Gervais-Courtellement seine Bilder von der Zerstörung und dem Leid an der Front bei Lichtbildervorträgen in Paris im Herbst 1914 gezeigt. Dreimal in der Woche, immer ausverkauft. Danach hat er farbig illustrierte Hefte von jeweils 16 Seiten herausgegeben, die man abonnieren und später als Buch binden lassen konnte. Das sind die ersten aber auch einzigen farbfotografischen Bildbände, die zeitgenössisch zum Ersten Weltkrieg erschienen sind. Ein Band von der Marne-Schlacht und ein weiterer von der Schlacht von Verdun.
Gab es ähnliche Beispiele von deutschen Fotografen?
Ja, Hans Hildenbrand aus Stuttgart hat seine Farbfotografien als Potskarten vertreiben lassen. Ganze Serien mit zusammen etwa 100 Motiven in sehr hohen Auflagen.
Die heutige Kriegsfotografie verbinden wir mit unmittelbaren Kampfhandlungen, der totalen Nähe zum Geschehen. Die Farbfotografien vom Ersten Weltkrieg dagegen wirken alle wie inszeniert.
Ja, das ist richtig. Es gibt vermutlich nicht eine Aufnahme, die unter unmittelbarer Lebensgefahr entstanden ist. Das hängt in erster Linie mit der Technik zusammen. Die Apparate wogen mit Stativ und Objektiv bis zu 15 Kilogramm. Aber selbst wenn ein Fotograf während des Kampfes hätte fotografieren wollen, wäre das aufgrund der hohen Belichtungszeiten gar nicht möglich gewesen. Bei normalem Licht waren das sechs Sekunden, also sechs Sekunden lang durfte sich niemand bewegen.
Das heißt, dass tatsächlich alle Motive gestellt waren?
So ist es. Alles was wir dort sehen, sollen wir so sehen. Dennoch gibt es Bilder, die die Grausamkeit des Krieges sehr gut dokumentieren, wenn beispielsweise ein amputierter Arm in Farbe zu sehen ist oder die Leiche eines Soldaten. Inszeniert sind aber auch die farbigen Ansichten der Kriegszerstörungen. Heute nennt man das „ruin porn“, der Begriff trifft es ganz gut. Da ist nichts geknipst, die Fotos wurden gemäldeartig in Szene gesetzt.
Das war der künstlerische Anspruch?
Auf jeden Fall, denn diese Fotografen standen ja unter Legitimationsdruck. Die Fotografie an sich war noch nicht als Kunstform etabliert, und dann kamen die auch noch mit Farbbildern, die nur als bunt und kitschig galten.
Wie viele dieser Farbfotos sind während des Ersten Weltkrieges entstanden?
Zirka 4000 Autochrome mit Kriegsmotiven sind überliefert. Die meisten davon aus Frankreich.
Das Hauptaugenmerk liegt auch heute noch auf den Geschehnissen an der Westfront. Die Kämpfe an der Ostfront und im Süden erscheinen im Vergleich dazu fast als Nebenkriegsschauplätze. Schlägt sich das auch in den Farbfotografien nieder?
Leider ja. Denn was die Überlieferung von der Ostfront angeht, gibt es nur sehr wenige Farbaufnahmen. Aus Italien gibt es fast nichts, dafür aber aus dem Nahen Osten und Nordafrika. Aus Nordafrika deshalb, weil es dort französische Kolonien gab, und aus Palästina, weil dort zwei australische Fotografen unterwegs waren.
Hat sich im Verlauf der Kriegsjahre etwas verändert bei Farbfotografien?
Technisch nicht. Und auch das Bewusstsein, dass die Farbe einen speziellen Wert für die Propaganda haben könnte, war damals noch nicht vorhanden. Erst im Zweiten Weltkrieg spielte die Farbfotografie als Propagandamedium eine Rolle. Damals hatten die Nazis das amerikanische „Life“-Magazin zum Vorbild für die eigene Zeitschrift „Signal“ genommen. Man konnte diese Illustrierte, die viele Farbfotos brachte, fast überall in Europa kaufen, in verschiedenen Sprachen, nur nicht in Deutschland. „Signal“ war nur für die Auslandspropaganda gedacht. Damals hatte man erkannt, welch emotionalisierende Wirkung und manipulative Kraft Farbfotos haben können.
Das Gespräch führte Dirk Becker
Peter Walther stellt „Der Erste Weltkrieg“ (Taschen Verlag, 39,99 Euro) am heutigen Donnerstag um 17.30 Uhr in der Stadt- und Landesbibliothek, Am Kanal 47, vor. Der Eintritt kostet 5 Euro.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: