Kultur: Farbenfrohes Fantasieren
Orgelsommer-Konzert mit Gerald Gillen in der Erlöserkirche
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Orgelsommer-Konzert mit Gerald Gillen in der Erlöserkirche Wenn Programmzusammenstellungen etwas von den Vorlieben der jeweiligen Interpreten verraten sollten, dann gehört der irische Organist Gerald Gillen, Professor an und musikalischer Leiter der National University of Ireland sowie Titularorganist an der Kathedrale von Dublin, zur Fraktion bekennender Frankophonen. Der Beweis? Die Hälfte seiner zehn Beiträge für den Auftritt beim Orgelsommers in der Erlöserkirche stammen aus der Feder französischer Komponisten, die größtenteils dem 20. Jahrhundert zuzurechnen sind. Zu ihnen gesellen sich je ein Italiener, Niederländer und Ire. Ein Programm der Modernitäten und dissonanten Klangballungen also? Keinesfalls, da haben die Altvorderen, wie Pachelbel und Bach, mitunter Gewagteres im Notenangebot. Geographisch und stilistisch weitgefächerte Offerten, mit denen der Orgelprofessor sein Publikum auch diesmal wieder begeistert, denn bereits vor fünf Jahren konzertierte er in der katholischen Propsteikirche Peter und Paul. Nun also der Aufenthalt im protestantischen Gotteshaus. Wobei es sowohl dem Organisten als auch den Zuhörern egal gewesen sein dürfte, wes Religion dieser und jener Komponist zuneigt. Die Werke jedenfalls lassen es nicht erahnen. Allerdings lässt sich die Nationalität des Erklingenden durchaus feststellen, da sie sich durch die Registrierung „verrät“. Französische Orgelstücke lieben eine zungenpfeifenreiche Klangpracht, leuchtende Farben, blühende Mixturen, den Einsatz des Tremulanten. Alles das schenkt ihnen Gerald Gillen durch seine fantasiereich schillernde Registrierungskunst. Bereits die eingangs erklingende „Fuge über ein Thema des Stunden-Carillons der Kathedrale von Soissons“ von Maurice Durufle (1902-1986) profitiert davon. Höchst originell, wie das Stück in seiner Farbenfülle und Lautstärke crescendiert. Zum Schluss beherrschen nur noch Prinzipalstimmen das Fortissimo. Dagegen siedelt Gillen das introvertierte „Postlude pour l''office de complies“ von Jehan Alain (1911-1940) in irisierend-ätherischen Regionen an. Ebenfalls vielfarbig und obertonreich registriert, offeriert sich das Pastorale op. 19 von Cesar Franck als eine sinnenfrohe und schnarrende Stimmungsmalerei. Gleichsam mit den Künsten eines Magiers ausgestattet, verwandelt der Orgelprofessor die „Fantaisie“ von Camille Saint-Saëns (1835-1921) in ihrem ersten Teil (Con moto) in ein etwas skurriles, fast grotesk anmutendes Klangaquarell. Dem steht ein quirliger, aus voller Orgellunge jauchzender zweiter Teil gegenüber. Die französische (Registrierungs-)Malerei bekommt auch den Genrebildern aus anderen Ländern vorzüglich. Wie hingetupft, huschend und hüpfend präsentiert sich das Scherzo g-Moll op. 49 Nr. 2 von Marco Enrico Bossi (1861-1925), wobei die Melodie stark an die motorische Unruhe von Schuberts „Gretchen am Spinnrad“ erinnert. Ruhe und Herzenserleichterung findet man dagegen in drei Choral-Präludien des Niederländers Flor Peeters (1903-1986), einem der Lehrer von Gerald Gillen. Ihm und seiner religiösen Gedankentiefe fühlt sich der Schüler besonders eng verbunden. Schlicht spielt er die Piecen, mit signalartigen Weckrufen nicht sparend. Als Beitrag aus seiner irischen Heimat stellt er „The Secret Rose“ von Landsmann Eric Sweeney (geb. 1948) vor, die sich in ätherischen Gefilden angesiedelt hat. Dass Gillen auch die Barockklassiker aus dem Effeff leichtfüßig zu spielen versteht, verdeutlicht sich in den acht Variationen der liedhaften „Aria Sebaldina“ von Johann Pachelbel (1653-1706). Aus deren Variationen von Takten und Metren oder Pausen in Melodiegeflechten entstehen – vorzugsweise in weichgetönten und gedecktfarbigen Oberstimmen angesiedelt – abwechslungsreiche Spielstücke. Dagegen verlangen Präludium und Fuge C-Dur BWV 547 von Johann Sebastian Bach nach großem gestalterischen Atem, über den der Organist reichlich verfügt. Hinreißend phrasiert, voller artikulatorischer Feinheiten, dennoch streng im Metrum, festlich und erhaben erfährt die prinzipalgeschärfte Klangalgebra eine einheitlich registrierte, analytische Exegese. Eine Zusammenfassung all dessen, was sich an diesem oder jenem Stück an spieltechnischem Raffinement offenbart, findet sich abschließend im „Hamburger Totentanz“ (1970) von Guy Bovet (geb. 1942), einer Hommage an die Toten der hanseatischen Bombennacht. In seiner Unerbittlichkeit assoziiert der Tonsatz heranfliegende Bombergeschwader, gleißenden, anschwellenden Feuersturm. Der groteske Tanz des Sensenmannes erinnert an die berühmte Toccata von Widor. Sehr beeindruckend. Viel Beifall. Peter Buske Nächstes Orgelsommer-Konzert in der Erlöserkirche: 27. August, 19.30 Uhr mit Giorgio Parolini (Mailand/Italien).
Peter Buske
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