Kultur: Farbige Signale
Bilder und Grafiken von Dagmar Misselhorn in der Sperlgalerie
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Bilder und Grafiken von Dagmar Misselhorn in der Sperlgalerie Von Götz J. Pfeiffer Man riecht Dagmar Misselhorn schon beim Betreten der Galerie. Nicht eigentlich die Malerin aus Hannover, sondern ihre Arbeiten. Unmittelbar sprechen die aus harzig duftenden Pigmenten auf Sperrholz und Papier gebrachten ungegenständlichen Bilder nicht nur die Nase des Besuchers, sondern auch seine Augen an. Wuchtiges Rot in vielfachen Schattierungen und Aufhellungen zieht sofort den Blick auf sich. Aufgelockert wird es durch lichtes Blau und wiederum mit Rot durchsetzte Gelbtöne. Seit 2000 nimmt die in Hannover lebende Malerin stets an den jährlichen „kleine formate“-Ausstellungen der Sperlgalerie teil. Wer in diesen Gruppenschauen von kritischem Galerist und zahlendem Publikum für sehenswert befunden wird, der darf auch allein mit seinen Arbeiten die Galerie bespielen. Mit der 1960 im niedersächsischen Celle geborenen Misselhorn stellen die Galeristen nun eine erfahrene Malerin aus, die aber nicht direkt zur bildenden Kunst kam. Zuerst machte Misselhorn 1986 ihr Diplom in Kulturpädagogik mit den Schwerpunkten Theater und Literatur, dann studierte sie freie Kunst an der Fachhochschule Hannover. Seit 1987 zeigt sie regelmäßig ihre Arbeiten, so 2004 im Kubus, der Galerie der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, und 1997 in der Berliner Sophien Edition. In der Sperlgalerie sind derzeit neuere Arbeiten aus den letzten Jahren zu sehen, mit Gewicht auf jüngst entstandenen Bildern und Drucken. Für einen Einstieg in Misselhorns Bildsprache eignen sich die Grafiken mit ihren wenigen großen Formen. Die titellosen – und bezahlbaren – Blätter mit den einfachen Rechtecken, L-Formen und dicken Linien lassen nicht nur erkennen, wie Misselhorn mehrere Einzelformen in verschiedenen Farben übereinander legt, um ein größeres Gebilde zu erlangen. Sie führen auch vor Augen, wie die Hannoveranerin mit sparsamen Form- und Farbmitteln Räume zu schaffen vermag, die von immer wieder erprobter, aber puristischer Wirksamkeit sind. Im Vergleich mit den sehr viel zahlreicher vertretenen Malereien wirken die Grafiken wie Fingerübungen. Auf den Bildern liegen bis zu 20 Farbschichten übereinander. Überdies dehnen sich die Räume erheblich weiter in die Tiefe und rücken zugleich sehr viel dichter an den Betrachter heran. Wird sein Blick dann von den warmen Rottönen so angezogen, dass er näher tritt, bewirkt darauf die Größe der Bilder, dass er in die Farben einzutauchen meint und – zumindest für den Moment – die Welt außerhalb der Bildgrenzen zu vergessen scheint. Auf diese Weise erreicht die Malerin, dass der Betrachter sich sehend und fühlend mit ihren Bildern auseinander setzt. Da erscheint es nur konsequent, dass keine der Arbeiten einen Titel trägt. Spitzfindig könnte man bemerken, dass das anstelle der Titel stehende „unbetitelt“ gegenüber dem gebräuchlichen „o.T.“ eine ausdrückliche Verweigerung ist. Was der Betrachter auf den einzelnen Bildern sieht, bleibt ihm vor Misselhorns Arbeiten in erheblichem Maße selbst überlassen. Denn stärker als bei anderen Malern wird das Gesehene und Erlebte von der eigenen Stimmung bedingt. Empfinde ich das kräftige Rot auf den drei Hochformaten gegenüber dem Galerieeingang als aggressiv? Oder die mit dunkleren Tönen vermischten Rotpigmente als bedrohlich? Wie weit vermag mein Auge die Farbschichten zu durchdringen? Was sieht es dabei? Und wie empfinde ich das Blau, das auf einigen Bildern als kühlender Pol dem glühenden Rot entgegentritt? Die Fertigkeit der Malerin scheint in dem gleichsam therapeutischen Kunstgriff zu bestehen, im Betrachter solche und andere Fragen zu evozieren, ohne sie ihm sogleich bewusst werden zu lassen. Neuesten Datums in ihrer Farb- und Formpalette sind die von Blau dominierten Bilder, in deren Tiefe sich gelbe Schemen dem Blick teils entziehen, teils entbergen. Gerade im Vergleich mit der Mehrzahl der von Rot beherrschten Arbeiten erscheinen letztere als ununterscheidbare Bilderflut – nicht zuletzt wegen der Titellosigkeit. Zwar zeigen sie verschiedene formale Aspekte und Qualitätsmaßstäbe sind bei ihrer Ausrichtung auf Subjektivität nur schwer zu gewinnen. Doch bleibt in der Rückschau das ungute Gefühl eines virtuos beherrschten, aber über die Grenzen ausgereizten Themas. Bis 17. April in der Sperlgalerie, Mittelstr. 30. Mi-So 12-18 Uhr.
Götz J. Pfeiffer
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