Kultur: Faust mephistophelisch
Goethes Tragödie erster Teil hatte am Hans OttoTheater in der Regie von Uwe Eric Laufenberg Premiere
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Der Mantel in der Garderobe, das Programmheft und das Glas Rotwein in den Händen, Gespräche über die kommende Aufführung – nichts Neues im Foyer vor einer Vorstellung. Auch im Hans Otto Theater nicht. Doch diesmal rätseln bereits die Premierengäste darüber, was der designierte HOT-Intendant Tobias Wellemeyer wohl ab Spielzeit 2009/10 auf die Bühne bringen wird. Und Salman Rushdies „Die Satanischen Verse“ und ihre Dramatisierung sind Gesprächsthema Nr.1, obwohl ja an diesem Samstagabend erst Goethes Faust, der Tragödie erster Teil, ansteht.
In den Zuschauerraum gibt es zunächst keinen Einlass. Man wird zurückgeleitet ins Freie, zum Gasometer, dann auf die Hinterbühne. „Ihr naht euch wieder schwankende Gestalten“, tönt es aus dem Off. Nach der „Zueignung“ dann das Vorspiel auf dem Theater. Stabpuppen geben sich als Theaterdirektor, Dichter und als Lustige Person die Ehre und die Schauspieler Günter Junghans, Moritz Führmann und Tobias Rott artikulieren den Text, in dem man hört, dass die Zuschauer an diesem Abend ein Fest erwarten können. Mit der Sicht und der Akustik haperts jedoch, auch beim dritten Präludium des Stücks, dem Prolog im Himmel: auf der „Beleuchtungsempore“ thront Gott der Herr mit langem Rauschebart (Roland Kuchenbuch), auf der Himmelsleiter befindet sich der gefallene Engel Mephisto, der die Erlaubnis erhält, Faust in Versuchung zu führen. Er glaubt, den Gelehrten in die Niederungen plattester Lebensgier zu reißen. Doch bevor er sich anschickt, seine Verführungskünste dem Publikum vorzuführen, muss der gesamte Pulk wieder das Haus verlassen, zurück ins Freie, um dann endlich im Zuschauerraum Platz zu nehmen. Nach einigen Umwegen kann Faust seinen Monolog in der „Studierstube“ beginnen.
Goethes Faust – ein Klassiker der Weltliteratur, die „Bibel des deutschen Bildungsbürgers“, Pflichtlektüre von Schulen – ist bisher selten am Hans Otto Theater in Szene gesetzt worden. In den neunziger Jahren hatte sich Piet Drescher in Potsdam das letzte Mal an die text- und deutungsfüllige Spielvorlage „gewagt“. Beim dritten Mal machte nun auch Intendant Uwe Eric Laufenberg deutlich, wie unerschöpflich die Faust-Tragödie ist. Gemeinsam mit den zwei anderen Premieren „Die Satanischen Verse“ nach Salman Rushdie und „Der Zufriedene“ von Katharina Schlender gehört das Goethe-Stück zum Inszenierungsreigen des vergangenen Wochenendes mit dem übergreifenden Thema „Metamorphosen“ – eine respektgebietende Leistung der Künstler und aller Mitarbeiter des Potsdamer Theaters.
Faust, ein Intellektueller in besten Mannesjahren, möchte mehr wissen als bisher, nämlich „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Nicht in einer gemütlichen Studierstube sinnt er nach, sondern in einem fabrikähnlichen Raum, umgeben von zig Tafeln, auf denen er mit mathematischen Formeln die Welt, das Dasein erfahren will. Keine Auskunft, keine Einsicht gibt es. Vielleicht könne ihm aber dabei die Magie behilflich sein? Der Hund – bei Goethe ein Pudel, bei Laufenberg jedoch wohl Rotkäppchens Wolf –, der Faust während des Osterspaziergangs über den Weg läuft, verwandelt sich in Mephisto, als ein Geist, „der stets verneint, als Kraft, „die stets das Böse will und stets das Gute schafft“. Faust geht mit dem Teufel einen Pakt ein. Und die Tragödie beginnt für alle, die ihren Weg kreuzen. Uwe Eric Laufenberg hat keine Inszenierung vorgelegt, in denen Abstraktionen von Szene zu Szene sich die Hände reichen. Der Regisseur präsentiert einen bildkräftigen und fantasievollen Theaterabend gemeinsam mit dem Bühnenbildner Vinzenz Gürtler und der Kostümbildnerin Claudia Jenatsch. Der Geist des mittelalterlichen Volksbuches und des Puppenspiels, die der Weimarer Dichter bestens kannte, begleiten die Inszenierung. Obwohl Laufenberg einige Textpassagen unter den Tisch fallen lässt, wird die gesamte Geschichte erzählt. Er macht deutlich, dass Faust jemand ist, der durch einen Zaubertrank verjüngt, in den Abgründen primitiver sinnlicher Gier sein höheres Streben vergisst. Und so entfalten der alte und der junge Faust gemeinsam mit Mephisto ungeheure Energien. Nicht nur der auf Pferdefüßen daherkommende Mephisto ist teuflisch, auch das Duo Faust – „zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“. Man liebt orgiastische Taumel wie die Walpurgisnacht, man geht über Leichen. Zerstörung ist angesagt, bei allem was nicht gefällt, was überdrüssig, überflüssig erscheint. Auch vor Gretchen wird nicht Halt gemacht, deren reine Liebe Faust irgendwie ahnt, aber sich nicht gegen Mephisto erwehren kann. Der wird sogar der Henker für das im Gefängnis einsitzende Mädchen, von Faust verraten und verlassen. Sie hat das gemeinsame Kind getötet. Faust ist bereits vor dem Mord an Gretchen ein gebrochener Mann, er erkennt nicht, dass ein Lösen von Mephisto ihn Rettung bringen könnte. Sie ziehen weiter: Begehren und Zerstören werden ihre Taten sein.
Uwe Eric Laufenberg gibt seiner Inszenierung Grüblerisches, Aufbegehrendes, jugendlich Sinnliches, Unheimliches, auch Komödiantisches. Die Walpurgisnacht gerät zu einer übersteigerten Turnstunde auf dem Bett, aber man findet auch Momente von stiller und bewegender Größe, besonders in den Gretchenszenen. Mit Günter Junghans und Moritz Führmann als Faust-Duo, Tobias Rott als Mephisto, Caroline Lux als Gretchen und Rita Feldmeier als deren Nachbarin Marthe stehen Protagonisten auf der Bühne, die des Regisseurs Konzeption mit großer innerer Beteiligung, Emphase und Spielfreude umsetzen. Bei Rott schlich sich leider Textunverständlichkeit ein. Die anderen Darsteller überzeugten dagegen mit feiner Sprechkultur. Viel Beifall gab es für diese Faust-Interpretaion vom Publikum, das zwischendurch auch nicht mehr umziehen musste.
Nächste Vorstellungen: 1. und 10. April, 109.30 Uhr; Neues Theater
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