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Kultur: Feier der Körperlichkeit

Die Villa Schöningen zeigt Akte von Johannes Grützke aus der Sammlung von Mathias Döpfner

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„Es dauert ungefähr zwei Minuten, dann ist die Scham vergangen“, sagt der Künstler Johannes Grützke. Seine Akte malt er nach dem Modell, nicht nach einem Foto. Nicht für jede Frau, die ihm in den vergangenen Jahren Modell gestanden hat, war es eine gewohnte Situation, für einen Künstler zu posieren. Daher traf sich Grützke meist zuvor mit den Modellen im Café, plauderte, erklärte seine Kunst. „Das Honorar, das die Frauen bekommen, schafft eine gewisse Distanz, die ist notwendig, damit es wirklich eine konzentrierte Arbeit wird“, erklärt der Maler.

Das Thema des Künstlers ist der Mensch, nicht selten der unbekleidete, nackte Mensch, männlich wie weiblich. Viele Frauen- und auch Männerakte hat Grützke geschaffen, mehr als 30 davon zeigt die Villa Schöningen. Ausgewählt hat die Bilder der Eigentümer der Villa, Mathias Döpfner. Die Werke stammen aus verschiedenen Sammlungen. Die Ausstellung zeigt die Vielgestaltigkeit der Ausdrucksmöglichkeiten des menschlichen Körpers und dessen virtuose Gestaltung durch den Maler Grützke. Pralle Frauenakte hängen neben der Darstellung eines ausgemergelten, magersüchtigen Modells. „Die Malerei ist klüger als ich“, sagt Grützke. Der Pinsel führe ein Eigenleben. Deshalb sei es nicht entscheidend, ob das Modell im herkömmlichen Sinne schön sei.

Der Medienmacher Döpfner ist nicht der Einzige, der eine Vorliebe für den unbekleideten, weiblichen Körper und dessen Darstellung in der Kunst und speziell in der Malerei pflegt. Die Aktdarstellung hat eine lange Tradition, die bis in die Höhlenmalerei zurückreicht. Fallen die Hüllen, steht der Mensch nackt da. Die in der Öffentlichkeit und mit der Kleidung zur Schau getragenen Rollen verschwänden mit dem Stoff und der Haltung, sagt Grützke. Etwas Ursprüngliches käme zum Vorschein. Der Körper entfalte seinen unverstellten Reiz.

Häufig dient dem Maler die Figur als Ausgangspunkt einer Reflexion über Rollenmuster, über gesellschaftliche Strukturen und Mechanismen. In vielen seiner raffiniert konstruierten Figurengruppen praktizieren Männer und Frauen sonderbare Handlungen, die wie seltsame Rituale anmuten. Die Arrangements der Figurengruppen sezieren soziale Strukturen. Auf einem Gruppenbild mit vielen angezogenen Damen und einer nackten Odaliske entsteht aus der Konstellation und den Blicken der Dargestellten ein spannungsreiches Beziehungsgeflecht. „Das sind alles Frauen, die es geschafft haben“, erläutert Grützke. Eine der Dargestellten sei seine langjährige Galeristin Karoline Müller. Gelegentlich zitieren die Titel der Bilder Mythologien. „Ich suche nicht nach einem Thema. Das findet sich beim Malen“, sagt Grützke. Theatrale Szenerien entstehen, in denen die Posen der Abgebildeten ins Absurde übersteigert werden. Das kommt nicht von ungefähr. Für den Theatermacher Peter Zadek hat Grützke viele Bühnenbilder geschaffen. Der männliche Darsteller auf seinen Bildern ist meist der Künstler selbst. „Da brauchte ich bloß in den Spiegel zu schauen und habe immer die gewünschte Pose“, kommentiert Grützke.

Das Thema des weiblichen Aktes ist nicht unproblematisch. Oft waren es weiße Männer, die den weiblichen Körper des Modells gegen ein Entgelt ausgiebig studierten und dann zum Genuss des meist auch männlichen Betrachters ausstellten. Aber der Reiz der Figur ergreift auch Künstlerinnen. Cecily Brown und Jenny Saville bilden männliche wie weibliche Körper auf der Leinwand ab und zeigen dabei, dass die soziale Rolle nicht mit der Kleidung abgelegt wird. Auch den von Grützke Dargestellten sind die Spuren des Lebens anzusehen. Manchmal gleiten die Gesichtszüge der Dargestellten aus den 70er-Jahren ins Fratzenhafte, in die Karikatur ab. Es war eine Zeit, in der die Jugend gegen bleierne gesellschaftliche Verhältnisse und festgezurrte Hierarchien und Strukturen an Universitäten und in den Medien revoltierte. Die abstrakte Malerei triumphierte und sollte Weltsprache sein. Grützke malte dennoch den Menschen. „Für mich war das keine Frage. Ich glaube, dass ich sowieso aus diesen ganzen Avantgarde-Mechanismen und -Strukturen herausfalle und etwas anderes mache“, so Grützke.

Der 78-jährige Künstler stammt aus Berlin, studierte in Berlin, sein Atelier befindet sich in Charlottenburg. Zehn Jahre unterrichtete Grützke an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, hinaus in die Welt hat es ihn nicht gezogen. „Die Welt ist in meinem Atelier und in meinem Kopf“, sagt der Maler. In seinem Atelier stehen Tiermodelle auf Schatullen und Schränken, Bücherregale mit Kunstkatalogen stapeln sich an den Wänden. Durch eine hohe Fensterfront fällt gleichmäßiges Nordlicht auf die Leinwand. Der Raum atmet eine behagliche, quicklebendige Kreativität. Im Gespräch wirkt der Maler oft amüsiert über seine Streiche, die er dem Betrachter mit seinen Bildern spielt. Seine Skizzen scheren sich nicht um konstruierte Konzepte, sondern sind im Fluss. „Ich weiß nicht, was Kunst ist. Ich male“, so Grützke. „Es ist eine Sprache, die etwas ausdrückt, das sich nicht anders sagen lässt.“

Die Ausstellung Johannes Grützke wird heute Abend um 19 Uhr in der Villa Schöningen eröffnet und ist bis zum 19. Juni zu sehen.

Richard Rabensaat

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