Kultur: Festival der Gegenwart
Die „intersonanzen“ zeigten, wie frisch und schöpferisch Neue Musik ist
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Was ist schon eine Expertenrunde aus Medien, Machern und dem Ministerium, die mit vielen Worten um die unverstandene, ungehörte Kunstmusik von heute ringt, gegen ein kurzes Opus, welches all das völlig mühelos und heiter auszudrücken weiß? Tatsächlich scheint Gisbert Näthers jüngstes Werk „Konvergenzen“ den derzeitigen Proporz zwischen Neuer Musik und ihrem rezeptorischen Hinterland viel konziser zu beschreiben, als es der runder Tisch am Wochende bei den „intersonanzen“ vermochte. Hier ging es um die x-te Bestandsaufnahme in eigener Sache, man sagte von offizieller Seite Unterstützung zu, machte den Machern neuen Mut. Der ist auch nötig, denn selbst nach mehr als fünfzig Jahren modernster (und sogar elektronisch verstärkter) Ton-Künste und Tonkünsteleien ist die Gegenwartsmusik noch immer nicht von der Gegenwart akzeptiert.
In Gisbert Näthers exemplarischer Versuchsanordnung op. 172 nun vertritt ein äußerst gemäßigtes agierendes Schlagwerk die Gegenwart, während ein Hornquartett aus der romantischen Schule herbeieilt. Beide haben nicht viel miteinander zu tun, doch bemühen sie sich wenigstens um Konvergenzen, bis es zum Aufstand (die Musiker erheben sich beim Spiel) der Bläser bezwiehungsweise ihrer Instrumente kommt. Näther ist, wie alle Revolutionäre, ungerecht, wenn er den Perkussionspart „Gegenwart“ (Martin Krause) leicht, die romantischen Instrumente aber mit Erdenschwere eher tumb darstellt. Doch was soll’s, nachdem sich die Vier bis in die Ton- und Sprachlosigkeit hineingeblasen hatten, trennten sich Tradition und Moderne, ihr Taktmaß war wohl zu verschieden. Ein heiter-skurriles Stück, eine bejubelte Uraufführung. Und darüber sollte man nicht reden können? Diskurse solcher Art um die Gegenwart als Material und Ziel der Neuen Musik gab es bei den 11. „intersonanzen“, dem „brandenburgischen fest der neuen musik“, das am Wochenende zu Ende ging, mehrere, wie auch die Zahl der Uraufführungen, die ein Dutzend weit überschritten: Die gegenwärtigen Komponisten sind eben viel zu fleißig, als dass brave Musikanbieter nachkommen könnten, so sie es wollten.
Georg Katzers genialer „Exkurs über die Mechanik“, vom Ensemble „Berlin PianoPercussion“ im Treffpunkt Freizeit vorgestellt, setzt sich auf glanzvolle Weise mit der Vergangenheit der Gegenwart auseinander: War der hier erwähnte La Mettrie nicht Vorleser von Fridericus Rex und sein „L’homme machine“ nicht die Basis für die Schulmedizin von heute? Helmut Zapf beschäftigt sich in „Störung“ mit dem, was Heiner Müller in seiner „Bildbeschreibung“ den „Fehler im System“ nannte. Sein Werk für zwei Schlagzeuger, ein Klavier und Zuspiel aus dem Off könnte fast ein paar gymnasiale Übungsstunden über die mechanische Physik des 18. Jahrhunderts samt des philosophisch-politischen Umfeldes ersetzen – zuzüglich einiger Takte Gegenwartskunde! Hatte der Brandenburgische Verein Neue Musik als Veranstalter etwa versäumt, Lehrer und Schüler einzuladen?
Die Jüngeren wären vermutlich explodiert, hätten sie Iannis Xenakis’ „Rebonds A“ für Schlagzeug solo (Interpret auch hier der geniale Martin Krause) gehört, oder John Cages notenlosen Witz „Composed Improvisation for Snare Drum Alone“ für rollende Kugeln, Sand, und ein umgedrehtes Tamburin. Die Kugeln als Steine, die Steine wie Rolling Stones, irre! Und alles einfach zum Lachen. Live is eben life. Hier wurde kräftig Gegenwart geschaufelt. Dieses Festival war jedenfalls nicht für die Mumien von gestern, nichts für Schläflinge von heute - man muss doch merken, dass man lebt! Bei den „intersonanzen“ lebt alles.
Vieles bleibt unvollkommen, manches Experiment, alles aber ist Wachsein und Suchen und Forschen, wie es Ulrich Pogoda mit „Marginale“, Volker Freidel in „Endemischer Rochade“ demonstrierten. Die allgemeine Tendenz geht zum Geräusch, zur instrumentalen Einzelstimme, zu kontrapunktischen Strukturen, zum Nebeneinander in Gleichzeitigkeit, was Immanuel Kant ja mit Raum übersetzt. Doch wurde auch Dialogbereitschaft mit der Tradition signalisiert, nicht nur bei Näther. In Summa steht die Neue Musik der forschenden Erkenntnis immer noch näher als dem Genuß. Sie hat sich frisch und ehrlich gehalten, wach und aktiv, sie bleibt also weiterhin – schöpferisch! Gerold Paul
Gerold Paul
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