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Kultur: Feuer fangen

Am Sonntag feiert die Band Sandow im Nikolaisaal nach sechsjähriger Trennung ihr Comeback

Stand:

Am Dienstag hat Kai-Uwe Kohlschmidt eine Schlägerei beobachtet. In einem Supermarkt prügelte eine Frau auf einen Mann ein. Dann sagte der Mann etwas zu der Frau, was Kohlschmidt aufgrund der Entfernung nicht verstehen konnte. Die Frau sank auf die Knie und schlug die Hände vor“s Gesicht. Der gerade noch geprügelte Mann beugte sich über die weinende Frau, legte die Arme um sie und schaut dann, hinter ihrem Rücken, auf seine Armbanduhr.

Geschichten, wie sie nur das Leben schreiben kann, die die Absurdität des Daseins vorführen, würden viele denken und schulterzuckend weitergehen. Kai-Uwe Kohlschmidt lassen solche Geschichten nicht los. Da erlebt ein Mann eine existenzielle Situation und im Hinterkopf hat er schon den nächsten Termin. Oder warum sollte er bei so einer Eskalation ausgerechnet auf seine Uhr schauen, fragt Kohlschmidt. Das ist eine Welt, mit der er nicht einverstanden ist. Der gilt es, eine andere Welt entgegenzusetzen.

Am Sonntag kann man im Nikolaisaal in Kohlschmidts Welt eintauchen, die vor allem die Welt seiner Bandkollegen, die Welt von Sandow ist. „Sandow – Das Comeback“ ist schlicht das Konzert zusammen mit 15 Musikern des Filmorchesters Babelsberg um 20.30 Uhr im großen Saal überschrieben. Zweieinhalb Stunden vorher ist der Film „Flüstern und SCHREIEN“ zu sehen, in dem die Geschichte von Sandow erzählt wird. In Cottbus 1982 gegründet, gehörten Sandow neben Feeling B zu den Bands, die sich im reglementierten Musikzirkus der DDR beharrlich der Anpassung verweigerten. Nach 17 Jahren lösten sich Sandow 1999 auf. Das Exzessive ihrer Konzerte, das Brennen für ihre Musik hatte tiefe Spuren hinterlassen. Doch dieses Sandow-Gefühl wie es Sänger, Gitarrist und Texter Kohlschmidt und Sänger und Gitarrist Chris Hinze nennen, ist auch nach der Trennung geblieben. Hartnäckiger als ihnen anfangs vielleicht lieb war.

„Ich dachte, ich könnte dieses Gefühl einfach aus mir raus schneiden“, sagt Chris Hinze, der nach der Trennung unter anderem als Bildhauer arbeitete. Irgendwann erkannte Hinze, dass dieses Gefühl einfach dazu gehört. Mit dieser Erkenntnis kam der „Durst“ und 2005 dann der Anruf von Kai-Uwe Kohlschmidt.

„Ja, ich war richtig durstig auf diese Band“, sagt Hinze. Und so war er froh, dass man wieder zusammen zurück auf die Bühne wollte. Doch bis die Musiker das Sandow-Gefühl wieder richtig spüren, richtig ausleben konnten, hat es zwei Jahre gedauert.

Von sechs unterschiedlichen Polen spricht Kohlschmidt, wenn er von den fünf Musikern und Jo Fabian, verantwortlich für Video und Licht, erzählt. Als die Band vor zwei Jahren wieder zusammenfand, habe man viel mit der neuen, elektronischen Technik gearbeitet. „Wir konzentrierten uns mehr auf das Soundbild“, sagt Kohlschmidt. Sandow wollten nicht klingen wie damals. „Sonst sagen die Leute: Ach, diese Gitarrenband da wieder aus den 90ern.“ Die Lieder vom neuen Album „kiong - gefährten der liebe“ sind als Einzelteile entstanden und dann im Studio zusammengesetzt worden. Eine erste Probenstaffel fand erst vor kurzem in Brandenburg statt. Seit Montag proben Sandow im Lindenpark, bis zu zehn Stunden am Tag. „Und am Dienstag hatte ich wieder dieses Sandow-Gefühl“, sagt Kohlschmidt. Dieses Gefühl, wenn die Chemie stimmt, die Energie von allen zusammenfließt, es anfängt zu prickeln und das Lied sich löst vom Kopf und nur noch aus dem Herzen oder dem Bauch kommt. Da war es wieder, wofür zu brennen sich lohnt, war der Raum aufgestoßen, um in eine andere Welt zu tauchen.Wer mit Kohlschmidt, Hinze oder dem neu hinzugekommen Z.A.P. über Sandow spricht, wird aber auch mit Gesellschaftskritik, Austauschbarkeit von Idolen und fehlenden Werten konfrontiert. Doch wollen sie ihre Musik nicht als Schilder mit Aufschriften wie „Kritik“ oder „Revolution“ verstehen. „Unsere Musik ist ein Angebot“, sagt Z.A.P. Wenn sie auf der Bühne stehen, ihre Musik spielen und von Videos umrahmt sind, kann der Zuhörer und Zuschauer selbst entscheiden, ob er in die ihm angebotenen Räume taucht oder nicht. „Wir treiben nicht einfach nur den Zirkuselefanten einmal durch die Manege“, sagt Kohlschmidt. Es geht um Seelenzustände, auch der extremen Art. Sandow-Konzerte sollen Erregungszustände sein und wenn die Leute dabei Feuer fangen, umso besser. Die einzige Gefahr, so Z.A.P., sei die Sandow-Sucht, von der niemand mehr loskomme. Wer einmal in diese musikalischen und visuellen Traumwelten eintaucht, der wird das immer wieder wollen. Und in diesen Traumwelten dürfen, so scheint es, Frauen ruhig Männer schlagen. Aber auf die Uhr schauen, sollte darin niemand. D. Becker

www.sandow.de

D. Becker

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