Kultur: Fingerabdrücke der Geschichte: Die „Judenhöfe“ in der Mark
Orte in der deutsch-jüdischen Gemeinschaft des Mittelalters
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Orte in der deutsch-jüdischen Gemeinschaft des Mittelalters Namen von Plätzen und Fluren geben oft wertvolle Hinweise auf die Geschichte eines Ortes, selbst wenn die sichtbaren Überreste längst verschwunden sind. So gab es bis in die Zeit des Nationalsozialismus in zahlreichen deutschen Städten Plätze, die „Judenhof“ hießen. In seltenen Fällen hat sich dieser Name – und sei es nur im Volksmund – bis heute gehalten. Auch in der Mark Brandenburg sind von Stendal über Salzwedel bis Frankfurt solche Höfe nachweisbar. Eine genauere Untersuchung der Judenhöfe könnte nun einen neuen Einblick in das Alltagsleben der Juden in der mittelalterlichen Mark geben. Im Gegensatz zu Judenstraßen und -gassen, waren die Höfe nämlich nicht einfach Wohnorte, die hauptsächlich von Juden bewohnt wurden. Wie Dieter Hoffmann-Axthelm, der sich seit langem mit dem Phänomen der Judenhöfe beschäftigt, bei einem Vortrag im Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums erläuterte, handelte es sich bei den Höfen vielmehr um einen „halböffentlichen Raum“, der mit dem mittelalterlichen Marktplatz vergleichbar ist. Für die christliche Obrigkeit galt er als privater Raum, von den Juden aber wurde er gemeinschaftlich genutzt. Diese nannten den Platz wahrscheinlich allerdings eher „Schulhof“, da er stets an der Synagoge lag, die im mittelalterlichen Judendeutsch als „Schul“ bezeichnet wurde. Hoffmann-Axthelm geht davon aus, dass hier beispielsweise Versammlungen abgehalten und Recht gesprochen wurde. Anders als ein neuzeitliches Ghetto lag ein mittelalterlicher Judenhof nicht außerhalb der städtischen Gemeinschaft: Die zentrale Lage der Höfe deutet somit auch auf die zumindest teilweise friedliche Koexistenz von Juden und Christen und die bedeutende Rolle jüdischer Kaufleute im Mittelalter hin. Während Hoffmann-Axthelm den verengten Zugang zu den Höfen durch die oft etwas zurückgesetzte Lage erklären kann, fehlt ihm für die charakteristische trapezartige Form bislang eine schlüssige Erklärung. Immerhin ermöglicht sie ihm aber, die Judenhöfe auf zahllosen Stadtplänen noch heute nachzuweisen. Die Judenhöfe in der Mark Brandenburg, unterscheiden sich formal nur wenig von denen im restlichen Deutschland. Bettet man ihre Geschichte aber in die Stadtentwicklung ein, verraten sie Besonderheiten über das Zusammenleben von Juden und Christen in der Mark: Weil es den jungen Siedlungen an christlichen Städtern fehlte, so mutmaßt Hoffmann-Axthelm, gehörten die Juden zu den ersten Bewohnern der Städte. Während fast überall jegliche sichtbaren Überreste der Judenhöfe längst verschwunden sind, erweist sich Perleberg hierbei als wahrer Glücksfall: Eine Scheune aus dem Jahr 1716 steht auf den Fundamenten der ursprünglichen Gebäude. So hat sich der charakteristische Grundriss exakt erhalten. Die genauere Untersuchung des Judenhofs ergab, dass bei der Bebauung Holz aus dem Jahr 1253 verwendet wurde. Da Perleberg erst 1239 das Stadtrecht erhalten hatte, folgert Hoffmann-Axthelm, dass auch hier unter den Bewohnern der jungen Stadt einige Juden waren. Der Perleberger Judenhof lag zwischen der heutigen Parchimer Straße und der damals noch schiffbaren Stepenitz, zu der sogar ein eigener Zugang bestand. Als Verbindung zu den Hansestädten war dies für die Handelstätigkeiten der Juden von großer Bedeutung. Genauere Auskünfte über die ursprüngliche Bebauung, wie beispielsweise die vermutete Synagoge und das jüdische Ritualbad, könnten nun allerdings nur archäologische Ausgrabungen ergeben. Moritz Reininghaus
Moritz Reininghaus
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