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Von Peter Buske: Fließen und Erblühen

Saisonstart mit Ray Chen und Da Sol Kim für die Kammerakademie und den Nikolaisaal

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Welche von den beiden kostbaren Stradivaris auswählen, um auf ihr Mozarts D-Dur-Violinkonzert KV 218 zur Eröffnung der 10. Saison des Nikolaisaals zu spielen? Vielleicht zur „Huggins“ greifen, die der 20-jährige australische Geiger Ray Chen als diesjähriger 1. Preisträger des Königin-Elisabeth-Wettbewerbs in Brüssel, sozusagen der Champions League auf Saiten, von der Nippon Music Foundation als Leihgabe für drei Jahre erhielt? Oder doch die „Macmillan“ streichen, die er nach dem Gewinn eines weiteren Wettbewerbs in New York ebenfalls zu spielerischem Gebrauch geliehen bekam?

Die diesbezügliche Wahl gibt er auch nach seinem Auftritt in der Reihe „Stars international“ mit der bestens aufgelegten Kammerakademie Potsdam unter Leitung von Michael Sanderling nicht preis. Es bleibt sein Geheimnis. Öffentlich verkündet wird dagegen sein Einspringen für die Geigerin Julia Fischer. Wie die Kammerakademie am vergangenen Dienstag in einer Pressemitteilung erklären musste, hatte Julia Fischer ihren Auftritt in Potsdam kurzfristig absagen müssen. Aus gesundheitlichen Gründen, wie es hieß. Ihr Arzt habe Julia Fischer geraten, wegen der bevorstehenden Geburt ihres Kindes auf das Konzert zu verzichten. Das kam fast schon einer Katastrophe gleich, denn das Konzert mit Julia Fischer, in dem sie nicht nur auf ihrem Hauptinstrument, der Violine, sondern auch ihr Ausnahmetalent am Klavier beweisen sollte, war seit Monaten schon ausverkauft. Und so lautete die berechtigte Frage am Freitag Abend im Nikolaisaal, ob der Geiger Ray Chen und der Pianist Da Sol Kim mehr als nur Ersatz für Julia Fischer beim Saisonauftakt sein können?

Wer wie Ray Chen den arrivierten Brüsseler Wettstreit gewinnt, der einem eine Topkarriere in Aussicht stellt, muss über besondere Qualitäten verfügen. Dass Ray Chen über geigerisches Hightech gebietet, steht dabei außer Frage. Und sonst?

Ehe er zu solistischen Höhenflügen abhebt, spielt er zur inneren Einstimmung im Einleitungspart der Tuttigeigen mit. Sehr konzentriert und zügig geht dann ein jeder an seinem Platz zu Werke, befleißigt sich eines straffen, durchweg kurz phrasierten Tons. Dadurch gerät der organische, gleichsam menschliche Pulsschlag der Mozartschen Eingebungen weitgehend außer Kontrolle, sodass vieles ziemlich kurzatmig wirkt. Wo bleibt die Seele der Musik, wo das Erblühen der Melodien, das strahlende Leuchten? Eher nüchtern, gewissermaßen wie ein Computerperfekt im abgesicherten Modus, geht es ebenfalls im langsamen Mittelsatz zu, dessen cantabile uns der Solist weitgehend schuldig bleibt. Sein herrlich klarer und reiner Bogenstrich, sein aparter Vibratogebrauch und seine ziemlich kalkulierte Rondeau-Freude fordern stürmischen Beifall heraus. Er dankt ihm mit einer Bach-Sarabande. Da wurde plötzlich aus mathematischer Schlichtheit inneres lebendiges Erleben.

Dem introvertierten, rationalistisch geprägten Typ folgt mit dem ebenfalls erst 20-jährigen südkoreanischen Pianisten Da Sol Kim die aufgeschlossenere, emotionalere Spielerpersönlichkeit. Voller Leidenschaft stürzen sich alle Beteiligten in die dräuende d-Moll-Dramatik von Mozarts Klavierkonzert Nr. 20 KV 466. Weich ist Da Sol Kims Anschlag, herrlich gelöst seine Tastenläufe, sein gleichfalls kraftvolles Zulangen, ohne dabei je die Mozartsche Contenance zu verlieren. Fast jede Note lädt er mit Gefühlswärme und Ausdruck auf. Ein organisches Fließen und Erblühen, besonders im Romanzensatz, den er in fast kindlichem Staunen als ein inniges Liebeslied zu gestalten versteht. Verdienter Bravojubel, der erst endet, als er Chopins Etüde op. 25 Nr. 10 darreicht.

Nach der Pause dann Schuberts 6. Sinfonie C-Dur, ein stilistischer Mix aus Haydn bis Rossini. Und so spielt man sie auch: heiter und zupackend, forsch und frisch, kurzweilig und breit, stets spannungsgeladen. Da trifft Haydnsche Behaglichkeit auf Mozartsche Andante-Innigkeit und Beethovens Scherzo-Humor mit seiner quirligen Direktheit und Bärbeißigkeit. Dieses Heterogene wie aus einem Guss wirken zu lassen, gehört zu den Vorzügen dieser mitreißenden und entsprechend umjubelten Wiedergabe. Die Saison fängt ja gut an!

Peter Buske

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