Kultur: Fontane-Kenner trafen sich auf Hermannswerder
Eigentlich konnte die Fragestellung „Religion als Relikt?“ des am Samstag beendeten Fontane-Symposiums nur rhetorisch gemeint sein.
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Eigentlich konnte die Fragestellung „Religion als Relikt?“ des am Samstag beendeten Fontane-Symposiums nur rhetorisch gemeint sein. Vielleicht aber lag genau hier der Grund für die Fruchtbarkeit dieses erfrischenden Treffens im Inselhotel auf Hermannswerder. Jeder der etwa 150 Gäste wusste doch von den „sakralen“ Hintergründen seines Gesamtwerks. Es ging also weniger darum, ob bei ihm „Religion als Relikt“ vorkam, sondern wie dasselbige aufzufassen sei. Fontane interessierte sich ein Leben lang für alles Christliche „außerhalb der Staatskirche“, in welcher Gestalt es ihm auch begegnete: protestantisch, lutherisch, pietistisch, calvinistisch, herrnhuthisch oder katholisch. Helmuth Nürnberger wies ausdrücklich darauf hin, wie borniert und „schrecklich“ der märkische Dichter den „eingegebenen Antikatholizismus“ während des Bismarckschen „Kulturkampfes“ fand und wie tolerant er selbst damit umging. Auch die religiöse Praxis im victorianischen England („Kattun-Christentum, geschraubte Kirchlichkeit“) war ihm ein Graus. Hier schloss die charmante Irin Eda Sagarra in bestem Deutsch an. Sie untersuchte das Verhältnis von Sünde und Vergebung in Fontanes Werk. Anders als auf den Inseln, bei Scott und Eliot, scheinen ihr Fontanes Figuren fast ausschließlich in zwei Geboten zu fehlen, die Männer „geschlechtsspezifisch“ beim Töten, die Frauen beim Ehebruch, wobei der Autor realistisch blieb: Vergebung für Sünderinnen war auch bei ihm eher die Ausnahme. Er lässt aber die Kirche im Dorf, handelt spezifische Konfessionsprobleme innerhalb der „eigenen Umgebung“ ab, zum Beispiel beim reformierten Glauben in lutherischem Ambiente. Auch Schuld und Sühne werden stets an dem gemessen, woran sich Magdalena, Melanie, Cécile und andere sprechende Namen selbst gebunden fühlen. Wie differenziert Fontane beim Schreiben vorging, könne man an den Konversionsszenen erkennen: „Er wusste, welche Systeme Menschen (jeweils) helfen und weniger helfen“. Und doch malt auch im „Stechlin“ oder bei „Petöfi“, immer jemand „Figuren in den Sand“, wenn die Verurteilung einer „Adulteria“ (Ehebrecherin) bevorsteht Sagarras Resümee: Trotz seines sprichwörtlich „konfessionellen Spürsinns“ blieb der Neuruppiner „mehr den Zöllnern als den Gerechten zugetan“. Draußen indes, vor dem Hotel, grasten zwei friedliche Esel. Ein Omen? Visionen, Spuk und anderes Pagane sind ja bei Fontane niemals Kolorit. Michael Masannetz fand jedenfalls im Roman- und Erzählwerk auffallend viele Phänomene aus dem Volksglauben, um diese Auffassung zu rechtfertigen. In der Kriminalerzählung „Unterm Birnbaum“ bringt das „zufällige“ Rollen eines Fasses die Wahrheit ans Licht, Melusine trägt ausgerechnet im „Stechlin“ einen Feen-Namen, nornengleich empfehlen sich drei Mädchen Effi Briest zur geisterhaften Mittagszeit, außerdem spukt es im ehelichen Landratshaus von Kessin ganz real. Es gibt Gesichte künftigen Sterbens, das Ariadne-Motiv des geworfenen Garnknäuels, die Aufhebung eines Familienfluches durch eine „Prinzessin“. Wenn es mal „kommt, wie es kommen muss“ oder einfach „das Blut“ spreche, sei das nicht, wie von den Germanisten bisher vertreten, folkloristische Zutat, sondern sujet- und damit rezeptionsbestimmend. Der Leipziger appellierte ans Auditorium, diese Tatsache nicht länger zu ignorieren. Es sei Zeit, eine generell „neue Realismus-Auffassung“ zu erarbeiten. Fontane hat“s möglich gemacht. Gerold Paul
Gerold Paul
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