Kultur: Förderer und Verhinderer Über Albert Wilkening, den Gentleman der Defa
Ihm wurden viele Etiketten aufgeklebt. Doch eines blieb besonders haften: das des Pragmatikers.
Stand:
Ihm wurden viele Etiketten aufgeklebt. Doch eines blieb besonders haften: das des Pragmatikers. Für jemanden im Filmgeschäft wohl nicht unbedingt das, was für Kreativität spricht. Doch Albert Wilkening engagierte sich fast 40 Jahre für die Defa in Babelsberg. Einer der renommiertesten Regisseure, Lothar Warneke, sagte einmal, dass er große Hochachtung vor Wilkening gehabt habe, aber nicht was sein filmisches Denken anbelangte.
Dem einstigen Produktionschef und Technischen Direktor, der in den 50er Jahren kommissarisch die Gesamtleitung des Filmstudios übernahm und von 1976 bis 1990 erster Vorsitzender des Internationalen Film- und Fernsehrates der DDR war, ist jetzt ein Buch gewidmet: „Albert Wilkening. Der Gentleman der DEFA“. Herausgeber Michael Grisko stellt es am kommenden Mittwoch, dem 16. Mai um 20 Uhr, im Filmmuseum vor.
Vor allem die Zeitzeugengespräche mit Produktionsleiter Gert Golde und den Regisseuren Roland Gräf, Hans Hattop und Rainer Simon sind es, die dem 1990 verstorbenen Lenker der Defa in dieser Dokumentation Gesicht geben: mit nicht immer schmeichelhaften, aber vom Leben gegerbten Konturen.
Rainer Simon lastet dieser zentralen Persönlichkeit des DDR-Films an, dass er gern jedwede Verantwortung auf die nächsthöhere Ebene abzuschieben versuchte und er eindeutig ein Scharfmacher gewesen sei, als es um die Durchsetzung seines Films „Till Eulenspiegel“ ging. Wilkening sei sogar direkt in den Schneideraum gegangen, um zu kontrollieren, dass tatsächlich der nackte Hintern einer Bäuerin, die von einem Pfaffen besprungen wird, herausgeschnitten wird. Ein prüder Wilkening? „Es ging ihm ums Prinzip, diesen Simon, der sich nicht disziplinieren ließ, zu disziplinieren“, glaubt Rainer Simon.
Wilkening selbst sah das anders: Er sagte über sich, dass ihn die individuelle Psyche der Regisseure besonders interessiert habe. „Und ist er ein guter, ein echter Künstler, so muss man ihm helfen, sein Selbstbewusstsein möglichst zu stabilisieren und nicht zu brechen.“ Gelernt habe er schon als Kind, andere zu achten, ohne sich selbst zu erniedrigen. Es gab aufgrund seiner bürgerlichen Herkunft – der Vater war Apotheker – auch immer wieder von oberster Stelle politische Vorbehalte gegen Wilkening. Doch Regisseur Günter Reisch bezeichnete ihn als eine integrative Figur. „Man konnte die politischen Köpfe austauschen, aber nicht Wilkening.“ Er sei der ruhende Pol gewesen, ein Chef zum Anfassen. „Alle Mitarbeiter hatten das Gefühl, da oben kümmert sich jemand“, so Reisch 2010. Für ihn war Wilkening eine Vaterfigur.
Auf jeden Fall saß er Jahrzehnte an den Schalthebeln der Macht: „Er war an der Entstehung, aber auch an der Verhinderung zahlreicher Defa-Filme maßgeblich beteiligt“, ist in dem Zeitzeugengespräch mit Roland Gräf zu lesen. Wilkening hat über Exposés entschieden, über Produktionsetats beraten, Besetzungen geprüft und abgelehnt, Regisseure, Schauspieler und Architekten an das Defa-Studio gebunden und ihre Karriere beeinflusst. Seine Name stand für technische Neuerungen ebenso wie für die Nachwuchsarbeit an der Filmhochschule. Immer im Sinne des sozialistischen Realismus. „UFA und Hollywood-Stil betrachteten wir als Opium für die Massen. Wir wollten sie aufrütteln und nicht einschläfern.“ Wilkening wollte die Menschen durch das gute Beispiel erziehen. „Ich sinnierte nicht unnütze über das Abstrakt-Beste, sondern über das Machbare“, sagte er 1988. Sachlich und zielorientiert, eben ein Pragmatiker. Aber auch einer, an dem sich offensichtlich die Geister scheiden. H. Jäger
Buchpräsentation „Albert Wilkening – Der Gentleman der DEFA“ (Verlag Peter Land, 39,80 Euro) am Mittwoch, 16. Mai, 20 Uhr, im Filmmuseum, Breite Straße 1A, es läuft Konrad Wolfs Film „Genesung“ (1955). Karten unter Tel.: (0331)27181-12
H. Jäger
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: