Kultur: Forsch und verführerisch Jean-Luc Salique
in der Erlöserkirche
Stand:
„Zu dick gesetzt, zu chromatisch“, nörgeln noch immer jene, die mit dem expressiven Stil des spätromantischen Komponisten Max Reger nur wenig anzufangen wissen. Um den inneren Zugang zu dessen Orgelwerk zu finden, braucht es eines besonderen Nervs für seine halbtonschrittige Komponierweise, klangliche Orientierung an Brahms und Liszt sowie den Strukturen der barocken Meister. Zu denen, die Regers Orgeluvre tiefgründig gestalten können, gehört Matthias Jacob, Kirchenmusikdirektor an der Friedenskirche Sanssouci. In Frankreich ist es Jean-Luc Salique, Organist an der Kathedrale St. Charles in Saint-Etienne/Loire. Im Rahmen eines weiteren, gut besuchten Orgelsommer-Konzerts trat er am Mittwoch in der Erlöserkirche auf und wählte mit Regers Fantasie über den Choral „Halleluja! Gott zu loben, bleibe meine Seelenfreud“ op. 52 Nr. 3 einen klangprächtigen Abschluss seines abwechslungsreichen Programms quer durch die Stile und Zeiten.
Das Werk wäre besser an der sinfonisch disponierten Woehl-Orgel der Friedenskirche aufgehoben gewesen, mag sich mancher Zuhörer zuvor gedacht haben. Doch gerade die strukturklaren, hell tönenden und feinzeichnenden Barockregister der Schuke-Orgel verhalfen dieser anspruchsvollen Klangkost zu einer selten zu hörenden Differenzierung und Farbenpracht. Kraftvoll stellt sich das Choralthema vor, gewürzt mit aller nur denkbaren Prinzipalschärfe und Pedalwucht. Die weiteren Verse hat Reger nah am Text ausgedeutet und zu einer reizvollen Variationsreihe gefügt. Ruhige Momente sorgen für Entspannung beim Entdecken der kontrapunktischen Linien eines gleichsam neobarocken Schnittmusterbogens, mit dessen Hilfe sich pures Gotteslob zu einem prächtigen, faltenreichen Klanggewand geformt hat. Da ist des Glitzerns und glutvoll Funkelns fast kein Ende. In Schlichtheit und fröhlich fortschreitendem Metrum schwillt die Fuge zu glanzvoller Größe an. Sehr überzeugend.
Doch an den Anfang stellt Jean-Luc Salique, ganz traditioneller Programmdramaturgie verhaftet, Johann Sebastian Bachs Fantasie und Fuge g-Moll BWV 542 mit eingeschobenem Adagio-Trio BWV 583. Im konzertanten Zugriff lässt der Organist das Hauptwerk aufrauschen: scharf getönt und kompakt, kontrastiert von lyrischen Episoden, die auf fast sanftmütigem Pedalfundament gründen. Romantisch registriert, schreitet das Adagio gemächlich einher. Dann wieder reizt Salique die Klangfülle des Instruments aus, um kraftvolle Erhabenheit zu erzeugen. Streng und forteforsch, schier ohne Atempause, aber mit agogischen Rückungen zur Spannungssteigerung setzt die Fuge den wirkungsvollen Schlusspunkt. Zwei Werke, ähnlich in Anlage und Wirkung. Sie setzen dem Orgelabend Anfang und Ende. Dazwischen eine grenzwertige Transkription des „Andante con moto“-Satzes aus der „Italienischen Sinfonie“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, die sich als verschwiemelte Klangspielerei erweist und entbehrlich gewesen wäre. Dagegen zeichnet sich César Francks E-Dur-Choral durch sanftmütige Klarheit und finessenreich registrierte Seelenerquickung aus. Zum verführerischen Ausflug in klangerotische Gefilde mit stampfenden Rhythmen und bauchtänzerischem Raffinement lädt schließlich der „Tanz der Schulamit“ von Petr Eben ein, ehe das Regersche „Halleluja“ die Seele von lasziver Sinnlichkeit befreit. Peter Buske
Peter Buske
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