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Von Gerold Paul: Fortschritt von gestern
Kimmo Pohjonen gab sich reichlich brav während seines Konzerts im Nikolaisaal
Stand:
Falls die wahren Könige durch Applaus gekrönt werden, wäre dem finnischen Musiker Kimmo Pohjonen ein Platz auf dem Ehrenthron sicher. Im Nikolaisaal sah es am Freitagabend jedenfalls ganz danach aus. Das Publikum feierte ihn nach dem Konzert namens „Uniko“ mit seinem perkussierenden Compagnon Samuli Kosminen, wie Kanzlerin Merkel jüngst auf einem Kleinen Parteitag erhoben wurde. Da sich das mitgereiste Proton String Quartett – die Violinen Teppo Ali-Mattila und Matilda Solonen, Maarit Holkko (Viola) und Veli-Matti Iljin am Cello – standesgemäß nur solchen Musikern hingibt, „die etwas wirklich Neues“ schafften, wird es mit der Königskrönung hier vor Ort schon seine Richtigkeit gehabt haben. Nur blieb dieser Jubel nicht für jeden nachvollziehbar. Denn wer versteht schon ausreichend Finnisch, um das achtteilige Opus mit Teilen wie „Atmos“, „Särmä“, „Kalma“ oder „Emo“ wirklich fassen zu können?
Das ziemlich dürftige Programmheft ließ den Besucher völlig im Stich, erschöpfte sich lieber in Wunderlichkeiten, welche dieser „unverschämt avantgardistische“ Kimmo in seinem fünfundsiebzigminütigen Programm wohlmöglich gar nicht einlösen wollte. Gekonnt hätte er schon. Der herbeizitierte Avantgardismus war beim 5. Potsdamer Crossover Konzert jedenfalls so wenig präsent, wie sich ein personeller Vergleich mit Jimi Hendrix, der im Zusammenhang mit Kimmo Pohjonen Spiel immer wieder gezogen wird, schlichtweg verbot. Es gab ihn nicht, oder er versank in mal wilden, doch überwiegend kreuzbraven Klang- und Harmoniefolgen, die sich bequem zwischen Jean Sibelius, New-Age-Brei und Yann Tiersen – Filmkomponist von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ und „Good Bye, Lenin“ – unterbringen ließen. Diese Musik wollte um jeden Preis für ernst und bedeutsam genommen werden und wagte dennoch kaum etwas. Vielleicht war das der „casus knaxus“.
Nachdem der 1964 geborene Kimmo Pohjonen am Helsinkijer Sibelius-Konservatorium klassische Musik studiert hatte, suchte er weitreisend, was die Welt seiner „Akkordeonologie“ wohl bieten könnte. War das undatierte „Uniko“ etwa eine Frucht davon? Nach zwei oder drei Sätzen hatte man das Prinzip vom Ganzen verstanden. Meeresrauschen, leise steigt ein volksliedhaftes Thema herauf, wie Undine aus der Tiefe. Es wird zelebriert, zerlegt bis eine wilde Plünderung entsteht. Nach dem Exkurs fügte sich final alles wieder in den alten Harmonien zusammen. Gelegentlich wurde das Verfahren auch umgedreht: Vorne Dissonanz, inmitten Friede, bleibende Unruh hintan. Natürlich hatte jeder Teil sein eigenes Gesicht, mal mit Kraft und Verwirrung, dann wieder mit lyrisch-poetischen und volksliedschlichten Motiven, einige Male drängte sich auch diese kehlige Hintergrundstimme aus dem Irgendwo des New Age mit hinein.
Irgendwann aber wurde man der vielen Synkopen müde, der Ostinati und Sequenzen, der Ausschmückungen, letztlich lief ja doch alles wieder in die schönen alten Bahnen zurück. Es kam weniger herüber, als erwartet, ein wenig langweilig wurde es mit der Zeit. Und der Hendrix-ähnliche König? Spielte meist nur wunderbar mit! Die wilden und viel gepriesenen, nie gehörten und erlebten Akkordeon-Soli blieben weitgehend aus, kein Stein brach aus der Wand, kein Zuhörer fiel ins Koma. Nachdem das Ensemble am Ende war, ebbte auch das Konzert ab. Als hätte da jemand den Strom abgedreht. Ach ja, da gab es noch Licht-Spielereien (Antti Rehtijärvi) auf Bühne und Decke wie lebende Tapete, dauerhaft Dampf aus allen Düsen, auch den hätte man sich für Draußen aufsparen können.
Was hilft da schon alle Zutat, wenn der Fortschritt so urgemütlich, so handgezähmt herbeigehinkt kommt, als sei es gestern gewesen? „Avantgarde“ lebt durchs Publikum, lebt vom Publikum, oder lebt gar nicht. Es gab zwar keine Interaktion, doch, was für ein Zauber, ein ganzes Parkett signalisierte danach sein vollstes Verständnis für die fremdartige Intention. Einer erhob sich gar für alle zur stehenden Ovation.
Gerold Paul
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