
© Manfred Thomas
Kultur: „Freiheit ist immer auch anstrengend“
Olga Maslo zeigt im „sans titre“ vier Künstlerbücher auf Weltreise. Eins ist von Frank Gaudlitz
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Vier Wochen durchquerte er allein die Weite und Einsamkeit der Salzwüste Boliviens. In seinem spärlichen Gepäck führte Frank Gaudlitz das quadratische kleine Tagebuch seiner Potsdamer Kollegin Olga Maslo mit. Die hatte ein Drittel der Seiten bereits mit eigenen Gedichten, Zitaten ihr wichtiger Künstler und mit Malerei gefüllt: ihre Einsamkeit un das Fernweh darin festgehalten. Auf die noch leeren Seiten sollte nun Frank Gaudlitz seine Erlebnisse und Sehnsüchte fernab der Heimat notieren. Das Büchlein blieb unangetastet im Rucksack. Erst nach der Reise trug Gaudlitz seine Notizen und Fotografien zusammen. Das Buch enthält sorgsam aufbereitete Hinterlassenschaften. Gerade die sehr poetischen und philosophischen Texte des Fotografen sind die Überraschung in diesem Büchlein, das derzeit mit drei weiteren Künstlerbüchern im Kunsthaus „sans titre“ auf Lesepulten ausgelegt ist. Auf den mehr oder weniger abgegriffenen Seiten pulsiert das, was das eigene Ich der Künstler ausmacht: die innere Einkehr.
„Weil ich etwas Persönliches von mir abgegeben habe, bekam ich auch etwas Persönliches zurück. Diese Bücher sind voller Vertrauen“, sagt Olga Maslo. Es ist ein ungewöhnliches Projekt, das sie da vor zwei Jahren angeschoben hat: eines, das aus der Einsamkeit heraus entstand. Während ihre Kollegen herumreisten, hatte Olga Maslo damit zu tun, ihre inzwischen 17-jährigen Zwillinge durchzubringen. Kein Geld, keine Zeit, um sich selbst auf den Weg zu machen. Dafür neidvolles Schauen auf die Wanderer zwischen den Welten. So entstand die Idee für „12 plus1“. Die Potsdamerin schickte ihr selbstgefertigtes Künstlerbuch in zwölf Ausführungen an zwölf ihr bekannte Künstler: bis nach Afrika und Lateinamerika. Die ersten 32 Seiten hat die Malerin jeweils selbst beschrieben und das Eigene, nicht Austauschbare preisgegeben. Es blieben 64 leere Seiten, die von den Ausgezogenen gefüllt werden sollten. Und gefüllt wurden. Mit mehr als nur Floskeln am Wegesrand.
„Das Beste, was passierte: dass jemand wie Frank Gaudlitz zu ganz neuen Erfahrungen gelangte. Er hatte vorher Bedenken, ob er sich auf dieses kleine Buch einlassen sollte, da er sonst sehr groß fotografiert.“ Nun verschwören sich seine kleinformatigen Schwarz-Weiß-Bilder geradezu mit seinem geschriebenen Feinsinn. „Wenn sich der Himmel Einsamkeit erlaubt, so ist der Salar sein Spiegel“, schreibt Gaudlitz über die Salzwüste, die die Einwohner „weißes Meer“ nennen. Der Fotograf hält seine widerstreitenden Gefühle fest: „Freiheit ist immer auch anstrengend. 6008 Meter Höhe, Zweifel und Schwäche. Sich selbst bezwungen. Allein auf dem Gipfel des Vulkans. Endloser Rundblick. Nichts engt mehr ein.“ Er schreibt über eisige Nächte auf dem Autositz, über Reifenpannen auf roter schlammiger Erde – und über die glückliche Inbesitznahme der Einsamkeit.
Im vergangenen Jahr stellte Olga Maslo die ersten vier Rücksendungen ihrer Kunstbücher im „san titre“ aus. Nun sind die nächsten vier dort zu sehen: die Bücher von Alexandra Lazowski aus Israel, von Patrick Baillet aus Frankreich, Theo Böttger aus Kanada und von Frank Gaudlitz aus Bolivien. Im kommenden Jahr sollen sich in einer abschließenden Ausstellung alle 13 vereinen. Frank Gaudlitz bedankte sich in einem Brief bei Olga Maslo für die Spur, die sie ihm mit diesem Buch gelegt hat. Er gab darin auch das Kompliment eines peruanischen Freundes weiter, der sagte, dass dieses Buch von einer Verrückten, einer Wahnsinnigen gestaltet worden sei. „Das bedeutet innerhalb unseres Selbstverständnisses, dass die Normalität kein Ausweg ist“, so Gaudlitz.
Es braucht eben noch etwas anderes zum Leben als den Alltag. „Man muss ihn bereichern mit guten Dingen, mit Seelendingen“, weiß Olga Maslo. Heidi Jäger
Bis Sonntag, 28. April, täglich von 15 bis 19 Uhr, Französische Straße 18
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