Von Heidi Jäger: Fremde Drachen
Jugendliche vom Offenen Kunstverein fahren nach China, um Boten des Glücks oder Pechs zu erkunden
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Drache heißt Long, Farbe Hua Hua, Prost Gang Bei und Zigarette Yan. Vier wichtige Vokabeln, die auf der Tour des Offenen Kunstvereins nach China nicht fehlen dürfen. Insgesamt stehen 66 Wörter auf der Liste, die Sabine Raetsch ihren Schützlingen in die Hand drückt und die sie bis zum Abflug am Montag lernen sollen. Natürlich weiß die Vereins-Chefin, dass es nicht die Sprache sein wird, über die sie zu ihren Gastgebern Nähe schaffen können. „Auf das gemeinsame Tun kommt es an. Wir müssen ganz klar und einfach sein“, gibt sie am Dienstagabend den zehn Jugendlichen auf der letzten Besprechungsrunde im KunstWerk zu bedenken, die dabei aufgeregt in ihrem gerade ausgehändigten Visum blättern. „Fremde Drachen“ gilt es während der zweiwöchigen Reise zu bezwingen. Während sie in China das Glück verheißen, mäandern sie in Europa eher als Bösewichte durch die Sagenwelt. Dabei sind sie zunehmend in Vergessenheit geraten, obwohl sie einst als wirkliche Lebewesen galten.
Die jungen Leute vom Offenen Kunstverein haben sich in den vergangenen Wochen immer wieder Sagen erzählt, wie die von der Midgardschlange aus der nordischen Mythologie. Für die Ahnen verkörperte sie das Weltmeer, das die Landmassen umschlingt. Und wenn sie sich wälzt, gibt es gewaltige Sturmfluten.
Die könnten sich nun auch auf dem Malpapier der jungen Künstler aufbäumen. Denn trotz straffen Sightseeing-Programms geht es vor allem darum, die eigene Kultur bildkünstlerisch rüberzubringen. „Ich habe schon große Blätter in China bestellt“, sagt Sabine Raetsch. Und lässt keinen Zweifel daran, dass sie die Urkraft der Drachen beschwören möchte.
Obwohl es im KunstWerk inzwischen schon vier Ausstellungen von jungen chinesischen Künstlern gab, war die Organisation einer Begegnung von jugendlichen Freizeitkünstlern ein aussichtsloses Unterfangen. „Es gibt in China keine Freizeitkunst. Entweder du studierst oder sie findet nicht statt.“ Einen Partner haben die Potsdamer schließlich in der Universität von Wuhan gefunden. „Der Prorektor ist ein Freund der Familie Su, deren Mann dieses Jahr bei uns ausgestellt hat. Die Universität bezahlt die Verpflegung und Unterkunft. Auch die in einem Drei-Sterne-Hotel in Peking. Wir brauchen also keine Schlafsäcke mitnehmen“, versichert sie. Die Jugendlichen hätten sich durchaus auch auf provisorische Gemeinschaftsunterkünfte eingelassen, um in den Genuss zu kommen, die Chinesische Mauer, die Verbotene Stadt oder das neu entstandene Künstlerviertel 798 in Peking sehen zu können. „Dort gibt es Riesenateliers und Künstlerwohnungen und wir werden dort auch die Maler wiedersehen, die bei uns in Potsdam waren. Inzwischen entsteht dort eine freie Kunst, die sich vom ehemals staatskonformen Weg emanzipiert und sich durchaus kritisch äußert“, so Sabine Raetsch. Auch gegen den Niedergang der alten Kultur. Denn in China werde skrupellos vieles dem Erdboden gleichgemacht, um Neues in die Höhe zu ziehen. „Für den Drei-Schluchten-Staudamm wurden ganze Städte platt gemacht.“ Ganz in der Nähe befindet sich auch Wuhan, die Stadt zu der sie nach einer Woche Peking 14 Stunden im Zug reisen. Mit Hufeisen und Kleeblättern, denn natürlich müssen auch Glücksbringer ins Gepäck, neben den bösen Drachen, um mit den Chinesen mitzuhalten.
Die können zum Beispiel mit ihrem Perlen-Drachen wuchern. So stach sich ein armer Bauer ein Rasenstück aus, der immerfort grün erstrahlte und pflanzte ihn Zuhause ein. Dabei fand er eine Perle. Die legte er in einen Reiskrug, der sich bald wie von Zauberhand füllte. Wie auch der Öltopf. Natürlich sprach sich dieser Reichtum schnell herum und rief Neider auf den Plan. Wie die Geschichte weitergeht, kann man vielleicht im Sommer sehen. Denn im Juli kommen die chinesischen Studenten zum Gegenbesuch nach Potsdam. Und dann gibt es auch eine Ausstellung mit den „Fremden Drachen“.
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