Kultur: Fremdheit, Begegnung und Austausch
Offener Kunstverein mit einem Film-, Fotografie- und Theaterworkshop zum Thema „Migration“
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Können Schuhe Geschichten erzählen? In der Fotoserie „Simply Shoes“ können sie das. Die Serie beginnt mit Aufnahmen von Füßen, die mit unterschiedlichen Schuhen geschmückt und in verschiedener Umgebung unterwegs sind. Dann heftet sich der fotografische Blick an grazile rote Ballerinas und hohe schwarze Männerturnschuhe. Nie werden Frau und Mann dabei ganz als Personen gezeigt: Der Betrachter erfährt durch Detailaufnahmen nur, dass beide einen Koffer mit sich führen, die Frau weißer und der Mann schwarzer Hautfarbe ist. Die Schuhpaare schlendern allein durch die Fremde – bis sie sich unter einem Holztisch treffen, einander näher kommen, gemeinsam weitergehen.
Konzentriert und schnörkellos erzählt die Fotoserie von Alleinsein und Fremdheit, Begegnung und Austausch. Sie entstand während des internationalen Projektes „Le vitte possible“ – die möglichen Leben – Geschichten von der Suche nach dem Glück“ in der italienischen Stadt Poliognano a mare.
Zehn Potsdamer Jugendliche des Offenen Kunstvereins konnten dort zusammen mit jungen Franzosen, Spaniern und Italienern in einem Film-, Fotografie- und Theaterworkshop zum Thema „Migration“ arbeiten.
Im KunstWerk zeigten Theaterleiterin Ulrike Schlue, Nicole Nikotowski, die Leiterin der deutschen Gruppe in Italien, und beteiligte Jugendliche dieser Tage Resultate ihres Aufenthaltes. Als Arbeitsbasis dienten Interviews, die jeder Teilnehmer mit einem Immigranten im eigenen Land führen sollte. So wurden auch in Potsdam Zuwanderer befragt. Eines der vorbereitenden Potsdamer Interviews ergänzte die Werkschau und zählte zu ihren Höhepunkten. Selbstbewusst spricht darin eine neunzehnjährige russische Immigrantin über ihre Lebensgeschichte. Sie konnte erfolgreich in die deutsche Gesellschaft hinein wachsen, dennoch bestimmt die in früher Kindheit erlebte Emigration ihre Identität: Die doppelte Verwurzelung lässt nicht zu, sich in einem Land wirklich zuhause zu fühlen.
In den Video- und Fotoarbeiten wurde deutlich, wie engagiert sich ihre Schöpfer mit dem Thema Migration auseinander setzten, dass ohne eigenen Erfahrungshintergrund ebenso schwer nachzuvollziehen wie darzustellen ist. Darüber hinaus war den Etüden eine große Lust am Umsetzen eigener Ideen und Ausprobieren der medialen Mittel anzumerken. Da wechselte die Kamera vehement zwischen Distanz, Nähe und Subjektivität, blieb die Zeit albtraumhaft stehen, wurde ein leerer Koffer mit Steinen gefüllt um Einsamkeit, Fremdheit, Verlorenheit auszudrücken. Wie aus dem Zusammenspiel von Bewegung, Bildern und Musik eine nonverbale Sprache entwickelt werden kann, die jedem der verschiedensprachigen Teilnehmer verständlich, demonstrierten die Ausschnitte aus der Theateraufführung.
Die Mitglieder des Offenen Kunstverein präsentierten aber nicht nur die letzten Arbeitsergebnisse, sondern stellten ihr einzigartiges Projekt auch als Ganzes vor. Es begann im letzten Frühjahr mit einer Einladung der italienischen Partnerorganisation zur „Fabrik der Erzählungen“ nach Polignano a Mare. Mit bulgarischen, italienischen und spanischen Jugendlichen sich auszutauschen und Theater zu spielen wurde ein überwältigend intensives Erlebnis: „Eigentlich kann ich diese Zeit nicht in Worte fassen. Es hat einfach alles gestimmt, die Leute, die Stadt, die Arbeit ... Es lag so viel Vertrauen, Liebe und Interesse füreinander in der Luft. Ich denke, anders kann man es nicht beschreiben ...“, schrieb eine junge Frau damals an ihre Freunde.
Was lag näher als der Wunsch, die unvergleichliche Erfahrung möge sich wiederholen? So luden im Oktober die Spanier in ein Dorf nahe Madrid ein, zum nächsten Jugendaustausch. Die Januarbegegnung in Süditalien war Teil drei des Projektes.
Im Sommer soll es weitergehen. Dann will der Offene Kunstverein zur „Fabrik der Spiele“ nach Potsdam bitten. Beim EU-Programm „Jugend für Europa“ sind bereits Fördergelder beantragt. Werden sie bewilligt, wird die beschauliche Potsdamer Innenstadt im Juli zur Bühne für kreative junge Leute aus fünf europäischen Ländern .Gabriele Zellmann
Gabriele Zellmann
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