SCHIFFBAUERGASSE: Freundlichkeiten überall
Alle haben mitgemacht bei der „Stadt für eine Nacht“. Es kamen rund 25 000 Besucher: mehr als 2011.
Stand:
Menschen können freundlich sein in einer „Stadt für 24 Stunden“, sowohl die in den roh gezimmerten Häuseln als auch die davor. Die hineinschauen und vielleicht auch drinnen bleiben, wenn es um Netz- oder um Wunschwelten geht, um Planetenbewegungen oder Stadtgetier, um Lyrik-Lesung oder um die Lebenskunst, mit einem Wort: Ums Irdische. Eine solche Nacht, besser vierundzwanzig Tagnachtstunden, liegen soeben hinter dem „Erlebnisquartier der Landeshauptstadt“ und ihrer Macher, die nun endlich und erschöpft in den Tagschlaf sinken dürften.
Alle haben ja mitgemacht bei der dritten und wiedererkennbaren Auflage einer guten Idee: die Immobilen wie T-Werk, Theater, „fabrik“, Waschhaus sowie alles Angeschlossene von „fluxus+“ bis zu Huckleberrys Bootssteg. Aber auch das Mobile, wozu vornehmlich die von der Zimmermanns-Abteilung des Hans Otto Theater aufopferungsvoll gebaute Häuslestadt aus Leistenholz und Plastikfolie gehört. Nur, warum musste sich dieses „Quartier“ so um die Freilichtbühne drängeln, wenn doch alle mitmachen wollten von der Havelbrücke hier bis zum Restaurantschiff „John Barnett“ gegenüber?
Fürs flanierende Volk aus vielen Ländern hatten vierundvierzig Akteure ja zweiunddreißig „Erlebnisräume“ präpariert, angeboten wurden in nur „24 Stunden“ ganze vierundsechzig Veranstaltungen – allesamt umsonst! Eine logistische Meisterleistung, Respekt.
Anfangs herrschte ja ein betont ungnädiger Himmel über diesem Gesamt-Kunst-Gebilde. Wolkenbruchartige Güsse hätten die terrestrische Stadt auf Zeit am Samstagnachmittag um ein Haar in eine submarine verwandelt. Stelzen und Masken und andere Open-Air-Spezialisten mussten sich in die Zelte retten, sogar erwartete „Begegnungen“ fielen aus, weil das entsprechende Häusel von oben her geflutet wurde. Wer im Waschhaus war, der blieb natürlich trocken. Ein wahrlich buntes Treiben hub nun an in Potsdams Wunschstadt, der Besucher wurden es mehr und mehr. Man sah in Grün und Rosé gehüllte Wesen, die zur Fliegenpilz-Bühne gehörten. Dort wurde mit Feuerregen und schier undurchdringlichen Nebeln ein Abrakadabra für Kinder getanzt. Im T-Werk und in der „fabrik“ gab es immer gut besuchte Veranstaltungen fast nonstop, Gratisführungen im Museum „fluxus+“, hier konnte man sich seine Zimmereinrichtung selber zusammenschrauben, dort seinen Geschmack in Sachen „Kunst & Couch“ testen. Als man den Pavillon „Sonne, Mund und Sterne“ besuchen wollte, waren die hohen Majestäten gerade mal abwesend, aber das Planetenhaus mit Zeichnungen der renommierten Astronomin Claudia-Veronika Meister war ja auch nicht ohne. „Gedämmte Liebe“ in einem Haus, welches außen total mit Kinderkuscheltieren drapiert war, „Wunschwelten“ für alle, die noch welche haben: Man konnte sie auf ein Papier schreiben, welches dann an einem Ballon zu Himmel gelassen wurde.
Besonders schön jene barock gestaltete Hütte, wo eine sehr einsame Königin Elisabeth Christine von ihren dreiundfünfzig einsamen Ehejahren erzählt; an der Zimmerdecke sah man den Übeltäter, EffZwo als Puppe in einen Vogelkäfig gesperrt! Er zwitscherte aber nicht.
Eine Wunschstadt, eine Kunststadt voller Tanz, Konzert und Unterhaltung in einer Zeit, die Lust und Unterhaltung braucht und liebt. Einzig die Hoffbauerstiftung wies dezent darauf hin, dass es in Funny-City auch Kranke und Siechende gibt. Diese leben mehr „endlich“ als endlich, und dürfen bei allem Spaß an der Freude nicht vergessen werden. Auch ihre Luftballons stiegen gen Himmel. Stadt der Glücklichen, Stadt der Kinder, Stadt der Kreativen – ein etwas zu arg strapaziertes Wort!
Nach dem Unwetter spielten auch Sonne, Mond und Sterne mit, den ganzen Rest der vierundzwanzig Stunden. Inmitten von Pferde- und Giraffenkulissen feierten die Pyromantiker abends im Schirrhof ein Fest, Tanz an allen Enden bis in Auroras Stunde, auch Joints sollen da gerochen worden sein. Freundlichkeiten überall. Essen und Trinken reichlich, ungarisch sogar. Unter der Rubrik „tierisch“ erfuhr man vom Schicksal des altgedienten Welses im Naturkundemuseum. Er wurde auf Drängen gutwilliger Tierschützer in die Freiheit entlassen, doch bekam die ihm schlecht. Schon kurze Zeit später trieb er bauchoben auf dem Havelstrome davon. Auch solches Wissen tut in einer 24-Stunden-Stadt gut. Alle, die ein solch ephemeres Fest auf die Beine stellten, verdienen Lob für ihre Mühe an Geist und Gesundheit. Als Rat: räumlich mehr streuen – inhaltlich mehr fokussieren!
Gerold Paul
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