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Kultur: Frisch, fröhlich, schnell

Weihnachtsoratorium in der Nikolaikirche

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Wer heute eine Aufführung von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium besucht, ist in aller Regel mit dem Werk vertraut. Es gehört zum Weihnachtsfest wie der Lichterbaum und Spekulatius. Welch'' ein Glück für uns! Die Leipziger hingegen, die in den Weihnachtstagen 1734/35 in die Thomaskirche oder in die Nicolaikirche kamen, hörten diese prachtvolle und tiefgründige Musik nur ein einziges Mal in ihrem Leben. Kaum vorstellbar, dass Bach alle Register seines Könnens zog, um ein derartig großes Werk für eine einmalige Verwendung zu schreiben! Über eine spätere Wiederaufführung zu Bachs Lebzeiten ist nichts bekannt. Erst im Jahr 1857 wurde das Weihnachtsoratorium wieder zu Gehör gebracht, um schließlich das volkstümlichste aller seine Chorwerke zu werden. Der Eröffnungschor „Jauchzet frohlocket“ ist für uns der Inbegriff des Weihnachtsoratoriums mit seinen Pauken und Trompeten, jubilierenden Geigen und Flöten, mit den prächtigen Chorpartien! Wann hat jemals ein Komponist die Freude über das Weihnachtsfest vollkommener ausgedrückt?

Nach mehrjähriger Abstinenz hat der Nikolaichor Potsdam unter der Leitung von Kantor Björn O. Wiede Bachs Weihnachtsoratorium, die Kantaten 1 bis 3, am vergangenen Samstag in der Nikolaikirche zur Aufführung gebracht. Mit von der Partie war diesmal die Evangelische Kantorei Caputh. Es erwies sich als eine gelungene Zusammenführung beider Chöre. Die rund 60 Sängerinnen und Sänger ließen in Sachen Homogenität und Sicherheit nichts zu wünschen übrig. Mit schöner Leuchtkraft und Durchsichtigkeit wussten sie die teilweise komplizierten Chöre und Choräle darzubieten. Und sie wussten auf jeden kleinen Wink Wiedes flexibel zu reagieren. Ganz besonders erfreulich war, dass man jedes Wort bestens verstand. Der Nikolaikantor nahm die Tempi insgesamt sehr zügig, um eine Frische und Fröhlichkeit in das weihnachtliche Geschehen zu bringen, die jeglicher Gemütlichkeit abhold ist. Das Ringen Wiedes nach wortgezeugtem Ausdruck kam am Samstag deutlich zutage. Doch es wurde oftmals zu schnell musiziert. Der Klang bekam dadurch im weiten Rund der Schinkel-Kirche selten einen festen Halt.

Neben dem Chor und dem nicht minder präsenten und höchst lebendig spielenden Kammerorchester der Philharmonischen Gesellschaft verblüfften wieder die farbigen Akzente der verschiedensten Instrumentalsolisten. Björn O. Wiede selbst begleitete am Cembalo die Arien und das Duett „Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen“. Hierbei hatten Doerthe Maria Sandmann, Sopran, und Jörg Schneider, Bariton, ihre große musikalische Stunde. Der Tenor Joachim Buhrmann war zwar in den höheren Lagen nicht immer sattelfest, doch wusste er die Weihnachtsgeschichte mit mancherlei Nuancen trefflich zu erzählen. Die Hirtenarie hätte man sich ein wenig ruhiger gewünscht. Die Altistin Bhawani Moennsad begeisterte mit ihren von großer Innigkeit und Ausdrucksstärke gesungenen Arien. Herzlichen Beifall gab es am Schluss für alle Mitwirkenden in der Nikolaikirche, in der der Advent auf vielfältige Weise singt und klingt. Am kommenden Sonntag sind die Potsdamer Kirchenchöre traditionell in diesem Gotteshaus zu Gast. Klaus Büstrin

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