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Kultur: Frische Ware am Kulturkiosk

Eine Veranstaltung, die nach Fortsetzung schreit: Junge Kultur aus Osteuropa im al globe

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Eine Veranstaltung, die nach Fortsetzung schreit: Junge Kultur aus Osteuropa im al globe „Die Welt ist eine Kugel, Osteuropa ist ein Oktaeder“, steht auf den T-Shirts der 12 Kulturmanagerinnen aus acht osteuropäischen Ländern, die am Donnerstag in Potsdam zu Gast waren. Tatsächlich scheinen Verständnis und Akzeptanz der Kultur unserer östlichen Nachbarländer noch nicht so richtig rund zu laufen. Da lehnte der Brandenburgische Kunstverein die Bitte der jungen Kulturbotschafterinnen des Projekts „Kulturkiosk“ aus Osteuropa ab, dessen Räume nur einen Abend lang für eine Kunstpräsentation aus den beteiligten Länder zu nutzen. Literatur, Kurzfilme und Musik aus Litauen, Polen, Rumänien, Russland, der Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn, so die Befürchtung, passten womöglich nicht zum Niveau des Hauses. Die 12 Projektmanagerinnen, die zur Zeit auf Einladung der angesehenen Robert Bosch Stiftung in verschiedenen Kultureinrichtungen in Deutschland arbeiten, boten dann ihr junges, frisches und eindrucksvolles Programm im al globe an, dem Haus, das sich als Schutzhütte für die Kulturen von Minderheitenethnien die Forderung nach mehr Toleranz und den Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat. Man sieht, dass das Präfix „Ost“ nicht nur im nationalen Zusammenhang immer gut ist für subtile Diskriminierung. Sicher, es war nur ein winziger Einblick in die kulturelle Vielfalt des östlichen Europas, er reichte allerdings um ahnen zu lassen, wie schnell ein überkommenes kulturhegemoniales Denken des „alten“ Europas zur Rückständigkeit und Isolation führen könnte, wenn man die Künstler und kulturellen Zentren des Ostens weiterhin für randständig erachtet. Zu Beginn rezitierte der slowenische Lyriker Ale teger aus seinen ins Deutsche übersetzen Gedichten. In seiner Heimat ist er gefeiert wie ein Popstar, die Auflagenzahlen seiner bislang vier Lyrikbände überstiegen dort jeden Romanbestseller. Sein vierter Band wird im nächsten Jahr im Suhrkamp Verlag erscheinen. Lyrik, sagt der zart und introvertiert wirkende teger, sei wie ein „komischer Kiosk“, man könne sie erwerben, aber das bedeute nicht, dass sie gleich zu einem spräche. Die Bilder, die er in den kurzen Texten entwirft, changieren zwischen scharf konturierten Alltagsbeobachtungen und unvermittelter Poesie. „Tote Engel“, heißt es in „Kamir/ Kaschmir“, einem imaginären Ort an einem Fluss, neben dessen schlammigen Fluten sich teger in einer seiner „geistigen Reisen“ begibt, „werden fortgeschwemmt, die unter dem Schnee geschlafen haben.“ Nicht 16 Seiten, wie erbeten, sondern 16 Zeilen zum Thema Europa verfasste der Slowene im Jahr 2000 anlässlich des Literaturexpresses, der damals mit weltberühmten Kollegen von Lissabon nach Moskau fuhr. „Europa“, dichtete teger süffig, „ist ein fettiges, zotteliges Weib, daneben ein Mann, der onaniert und dabei heimlich an Amerika denkt.“ Ähnlich selbstbewusst, kraftvoll und innovativ zeigten sich auch die anschließend präsentierten Kurzfilme. Der Animationsfilm „Solo Mutant“ der Tschechin Marketa Placha zeigt einen seltsamen, traumhaften Kampf auf dem Caféhaustisch, der zwischen Streichholzschachteln und Zuckerportionstütchen ausbricht. Ein schriller, bizarrer Humor in einer scheinbar einfachen Tricktechnik mit viel Hintersinn. Der ungarische Musik- und Videokünstler Balázs Gróf schuf mit seinem ebenfalls in farbigen Trickzeichnungen ausgeführten Musikclip „Minimal“ eine stets fortschreitende Mutation seiner grotesken Figuren, eine eindrucksvolle Parabel auf die Lächerlichkeit des Totalitarismus. Der mehrfach ausgezeichnete Kurzfilm „Flug über Litauen“, der zur Expo in Hannover im litauischen Pavillon für Aufsehen sorgte, nahm den Betrachter in Zeitraffung mit auf eine sphärische Fahrt über die Wipfel und Auen einer für uns unbekannten, und doch so verheißungsvollen Landschaft, die nach Entdeckung ruft. Zum Abschluss des Programms spielte dann der litauische Musiker „Donis“ seine sanfte Ambiente-Musik, die er auf seinem der Klarinette ähnlichen Holzhorn mit dem exotischen Namen Birbyne durch die Reihen schickte. Der „Kulturkiosk“, charmant und kompetent organisiert, wurde mit der anschließenden Party geschlossen. Zu wünschen wäre, im Interesse der eigenen Kultur, ein „Kultursupermarkt“ gleicher Güte oder, wenn man träumen darf, eine ganze Supermarktkette, die den Westen erobert. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

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