Kultur: Frühe Zeugnisse lesen lernen Jugendliche forschten über Katholiken in der DDR
Archive befragen, Gräber befragen, Zeugen befragen, damit man erfährt, wie es früher mal war. Früher, das ist für die jungen Potsdamer von heute jenes Land DDR, von dem sie nach einem Vierteljahrhundert oft so gut wie gar nichts mehr wissen.
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Archive befragen, Gräber befragen, Zeugen befragen, damit man erfährt, wie es früher mal war. Früher, das ist für die jungen Potsdamer von heute jenes Land DDR, von dem sie nach einem Vierteljahrhundert oft so gut wie gar nichts mehr wissen. Vor zwei Jahren machte sich die Pfarrjugend von St. Antonius in Babelsberg daran, dies für ihren Gemeindebezirk näher zu erforschen. Sie wollten die Zeugnisse früherer Zeiten, soweit noch vorhanden, lesen lernen. Wie kamen nun ihre katholischen Vorvorderen mit dem atheistischen Staat DDR zurecht, was zeugt noch davon, und was sagt so ein Zeugnis eigentlich aus? Stimmt ihre Arbeitshypothese, dass praktizierende Katholiken damals staatsnahe Berufe mieden, weil diese ein mehr oder weniger atheistisches Bekenntnis und Tun abverlangten? Viele Fragen im Rahmen dieses spannenden Jugendgeschichtsprojektes, das am Dienstag in der „arche“ von Diakon Thomas Marin vorgestellt wurde.
Die Idee für dieses Projekt hatte ein Babelsberger Ministrant. Er meinte bei einer Gräbersegnung auf dem Friedhof in der Goethestraße im Jahr 2012 ganz nebenbei: „Mein Großonkel könnte über viele Gräber Geschichten erzählen.“ Zum Beispiel die von Paul Krause, dem Küster. Oder von Professor Walter Hagemann, der 1961 vom Westen in den Osten kam. Und so tauchten etwa zehn Babelsberger Jungkatholiken in das unbekannte Land DDR ein. Sie entdeckten bei ihrer „religionssoziologischen Vorfeldforschung“ mancherlei. Zum Beispiel, dass sich die Struktur ihrer Kirchengemeinde mehrmals änderte: Nach dem Krieg durch den Zuzug schlesischer Flüchtlinge, dann noch einmal ab 1990, als mit der Einführung von Lohnsteuerkarten auch die bisher höchste Zahl von Kirchenaustritten ans Licht kam. Unter den Berufen, die teils aus den Grabsteinen, vor allem aber aus den Kirchenbüchern von St. Antonius zu erschließen waren, fanden sich vor allem Handwerker, Selbstständige, Angestellte und Rentner, damit waren meist Hausfrauen gemeint. Und obwohl Intelligenzler in der Gemeinde sehr rar blieben, war doch ein promovierter Militärhistoriker im Stabsoffiziersrang darunter. Wie staunten seine Kollegen, als sie an seinem Grab einen katholischen Priester Dienst tun sahen. Überhaupt seien die Katholiken der DDR nicht gerade kämpferisch gewesen. Aus Glaubensmotiven wichen sie Konflikten eher aus. War es aber nötig, so bekannten sie ihren Glauben offen.
Zeitzeugen-Befragungen erwiesen sich für das Projekt zwar als nicht ergiebig genug. Dafür fanden die jungen Leute ganz Erstaunliches beim Thema Begräbniskultur heraus. So blieb der Friedhof in der Goethestraße bis Mitte der Achtzigerjahre die erste Adresse für St. Antonius. Erst dann stand den Katholiken auch jener in der Wichgrafstraße offen. Ein großes Problem brachte dann die 2. Verwaltungsänderung um 1985, als in der Goethestraße nur noch Urnen erlaubt wurden. Katholiken aber wollen erdbestattet sein. Man wich jetzt auf andere Stadtfriedhöfe außerhalb der Sprengelgrenzen aus. Was die Grabsymbolik betrifft, so ist zur Gegenwart hin eine rückläufige Tendenz christlicher Bekenntnisse auf den Grabsteinen nachzuweisen. Ganz im Gegensatz zur DDR-Zeit, wo bestimmte Glaubenszeugnisse dem Atheismus zu trotzen schienen. So wird DDR-Geschichte, wenn auch eher am Rande, für Jugendliche auch heute interessant. Gerold Paul
Gerold Paul
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