Kultur: Fugenkunst, Glasperlenspiel und seltene Sonatenkost
Die Potsdamer Bachtage mit der Kleinen Cammer-Music, Siegfried Pank, Thomas Pietsch und Björn O. Wiede
Stand:
Bachs geliebte und verpönte „Kunst der Fuge“ lehrt den Musiker im wahrsten Sinne des Wortes Kunst. Nicht, indem man dieses Opus ultimum von 1750 nur schnöde vom Blatt spielt. Nein, hier wird das künstlerische Ingenium des Interpreten ganz ungeniert gebeten, gefälligst Leben vom eigenem Leben in dieses Gitterwerk aus Logik zu bringen. Je mehr Kunst im Menschen ist, um so mehr auch in der Musik. Im Rahmen der Potsdamer Bachtage war dieses schwierige und ziemlich umfangreiche Opus 1080 am Wochenende in der Orangerie des Neuen Garten zu hören.
Potsdams Kleine Cammer-Music wagte sich in Streichquartett-Besetzung mit Cembalo-Begleitung (Sabine Erdmann) an die Bewältigung dieser Aufgabe, freilich nach ihrer Art nicht pur. Wolfgang Hasleder (1. Violine) wollte das Bachsche Vermächtnis mit dem letzten Roman des heute wenig vertrauten Hermann Hesse in Proporz setzen, mit dem „Glasperlenspiel“ von 1943. In diesem früher eifrig ventilierten Weisheitswerk fernöstlichen Geistes finden sich tatsächlich verblüffende Anlehnungen an Denkart und Struktur von Bachs letzter Fuge, es dürfte dem Ensemble wie ein Credo gelten. So alternierte die Musik im gut dreistündigen Abend mit sechs Szenen aus Hesses Esoterik-Roman. Dem Prolog zum „Glasperlenspiel“ etwa folgten die Contrapuncti eins bis vier, Josef Knechts „Berufung“ leitet die Numeri fünf bis sieben ein, „in Stylo Francese“ und „per Augment et Diminut“ bezeichnet, Begriffe, wie sie auch Geheimsekten benutzen. Die Montage beider Elemente im freimaurerisch Neuen Garten der Isis schien einleuchtend, auch wenn das Gros der Zuhörer wohl nur Bach hören wollte, und nach Kraft und Vermögen genoss. Jenseits der Pause freilich blieb fast ein Viertel der Besucherplätze leer.
Dieses musikalische Lehrstück macht etwas Erstaunliches: Es nimmt sich ein schlichtes Thema und variiert es exemplarisch in jeder nur denkbaren Form. Wechselnde Instrumentation, Ausreizung aller musikalischen Spiel- und Tonarten, Mittel und Finessen, wenn sie nur die heiligen Themen Fuge und Contrapunkt berührten, formales Aufklärerwerk. Ganz erstaunlich, wie das Ensemble, neben den Genannten Rahel Mai (2. Violine), Heinrich Kubitschek (Viola) und Kathrin Sutor am Violoncello dieses oft lapidar benannte Thema mit ihrem Genius in crescendo belebte. Mal gab das Cembalo einen poetischen Solopart, mal war das Duett von Geige und Viola ein Wunder, mal ein Quintett ganz ohne Reiz. „Die Kunst der Fuge“ als brillante Ensemble-Leistung? Eigentlich ein Paradox.
Auch die überlangen Textpassagen, gelesen von Andreas Hueck von der Potsdamer Theatertruppe Poetenpack, machten die Schwächen der Programm-Konzeption deutlich. Zu opulent, was man sich da voller Redlichkeit und musikalisch-instrumentaler Bach-Treue vorgenommen hatte. Das Publikum freilich nimmt immer, was es zu tragen gewillt ist, oder es geht. Also haderte das Ensemble nicht mit seiner musikalischen Ur-Kraft, es würgte an einer Intention, die sich des freien Geistes im Gerüst der Strenge nicht souverän genug bediente und auch Humor vermissen ließ. Werktreue, so zeigte sich, verhindert stets den Nabelschnitt vom Meister – hin Richtung Gegenwart. Gerold Paul
Johann Sebastian Bach „verstand“ nach Ansicht seines Sohnes Carl Philipp Emanuel „die Möglichkeiten aller Geigeninstrumente vollkommen“ darzustellen. Und so wundert es nicht, wenn Bach junior die Sonaten für Violine und obligates Cembalo (BWV 1014 -1019) zu den „besten Arbeiten des seeligen Vaters“ zählte. An den Jurastudenten und Musikliebhaber aus Passion Johann Nicolaus Forkel schrieb er, die Stücke „... klingen noch jetzt sehr gut, u. machen mir viel Vergnügen, ohngeacht sie über 50 Jahre alt sind. Es sind einige Adagii darin, die man heut zu Tage nicht sangbarer setzten kann.“
Nun haben sie das stolze Alter von fast 300 Jahren erreicht. Zwischen 1717 und 1723 hat Johann Sebastian Bach sie in Köthen komponiert. Und immer noch sind sie von großer Frische und seltener Zeitlosigkeit. Meisterwerke eben. Es ist erstaunlich, dass sie so selten im Konzert erklingen. Natürlich sind für eine Aufführung hervorragende Interpreten erwünscht. Die Bachtage Potsdam konnten am Sonntagabend mit dem Hamburger Geiger Thomas Pietsch einen solchen Künstler aufwarten. Im stimmungsvollen Raffaelsaal der Orangerie im Park Sanssouci, der ganz und gar von der reichen Bilderwelt des italienischen Renaissancemeisters lebt, musizierte Pietsch gemeinsam mit dem Leipziger Gambisten Siegfried Pank und dem Potsdamer Kirchenmusiker Björn O. Wiede am Cembalo zwei Violinsonaten, BWV 1014 und 1016.
Der mit Potsdam tief verwurzelte Thomas Pietsch war bereits im vergangenen Jahr Gast der Bachtage. Mit fragilem und hellem Klang, der immer wieder farblich aufgefächert wurde, wusste der Violinist mit seiner wertvollen Geige, die Ende des 17. Jahrhunderts gebaut wurde, das Publikum zu fesseln. Und wahrlich, wie hatte Carl Philipp Emanuel recht, als er die Adagii pries. Das wurde auch in der Orangerie deutlich. Besonders der dritte Satz der Sonate h-Moll BWV 1014, eben ein Adagio, hat besonders viel Schwung, ist fließend, lieblich und anmutig. Diese wunderbare Musik in der Wiedergabe von Pietsch und seinen Mitstreitern hatte besonders viel Anrührendes, Bewegendes.
Die Viola da gamba, die Siegfried Pank spielt (ebenfalls ein Instrument am Ende des 17. Jahrhunderts gebaut), hüllt das Publikum in einen warmen, satt und tief resonierenden Klangteppich ein, vor allem in der Gambensonate D-Dur BWV 1028. Björn O. Wiede erwies sich auch hierbei als ein aufmerksamer Musizierpartner am Cembalo. Dieses Instrument ist eine Kopie nach dem Berliner Cembalobauer Michael Mietke, der in der ersten Hälfte 18. Jahrhunderts wirkte.
Wiede steuerte auch zwei Solosonaten des Bachsohns Carl Philipp Emanuel bei. Der einst in der Hofkapelle Friedrich des Großen wirkende Bach ist dem „galanten Stil“ verpflichtet. Die Kontraste verschiedener Leidenschaften hat Wiede in seinem engagiert musizierten Vortrag. Am besten gelang ihm aber das anmutige Rondo in A-Dur, das wunderbar leicht perlte.
Eine kleine Pause wäre aber nach dem dritten Stück hilfreich für ein erneutes Stimmen gewesen. Denn leider musste man im Laufe des Konzerts eine intonatorische Trübung des Tasteninstruments wahrnehmen. Das nächste Mal aber bitte eine Zäsur zugunsten einer guten Stimmung. Klaus Büstrin
Gerold Paul
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: