Kultur: Für multireligiöses Europa
Der Islam-Experte Prof. Steinbach plädierte für „osmotische“ Beziehungen
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Beim Stichwort islamischer Fundamentalismus denkt man schnell an fanatische, gewaltbereite Muslime. Skurril muten die Bilder der selbsternannten „Gotteskrieger“ an, die mit dem Koran in der Hand dem Westen den Krieg erklären und dabei so rückwärtsgewandt in ihren Ansichten wie modern in ihren Methoden sind. Trägt der islamische Fundamentalismus Züge der Moderne?
Dieser Frage ging eine weitere Veranstaltung der von den geisteswissenschaftlichen Instituten am Neuen Markt im Rahmen von Kulturland Brandenburg konzipierten Reihe „Politik und Religion in der Moderne“ nach. Zu Gast war am Donnerstag Abend der renommierte Islamwissenschaftler Prof. Udo Steinbach, Leiter des Deutschen Orient-Instituts in Hamburg.
An die Stelle von Fundamentalismus setzte Steinbach den Begriff „Islamismus“. In ihm steckten beide Elemente: Religion und Ideologie. Der Muslim, so Steinbach, empfinde eine sehr starke Verantwortung für die Gemeinschaft. Dabei werde die islamische Gemeinde global begriffen, die „Umma“ reiche von Marokko bis Indonesien. Diese große islamische Familie werde als die eigentliche, vollkommene Welt betrachtet. Angesichts der rauhen Wirklichkeit erkläre sich aus dieser Sichtweise das weitverbreitete Grundgefühl einer permanenten Ungerechtigkeit. Der Westen, für viele innerislamische Probleme verantwortlich gemacht, werde als Bedrohung wahrgenommen. Erst recht, seitdem die „Mächte von außen“, wie die USA im Irak, in die islamische Welt eingebrochen seien. Die Motive des Islamismus rührten zu einem großen Teil aus dem Gedanken der Revolte, sich aufzulehnen gegen alles, was mit dem Westen in Zusammenhang gebracht werden kann. Deutlich werde dies bei der alltäglichen Gewalt im Irak, die zwar unterschiedlichen Motiven folge, sich im Grunde aber gegen alles richte, was irgendwie „westlich“ wirkt: Die Besatzer, die neuen Eliten, das westlichen Demokratievorstellungen folgende Staatswesen. Das „Zuhause“ vieler Terroristen, wie der Attentäter von Madrid oder London, sei eine aus den Fugen geratene Welt. Aus einem zutiefst emotionalen Erweckungserlebnis formulierten diese sich als „born again“ fühlende Muslime ihre Gewaltabsicht. Sie führten dabei ihre eigene Lesart der „göttlichen Wahrheit“ an, was jedoch auf den überwiegenden Widerspruch bei islamischen Theologen stoße.
Das bisher einzig greifbare Beispiel einer Synthese aus „Revolte und Moderne“ im Islam liefere die iranische Revolution von 1979. Aus westlicher Sicht ein Rückschritt in finstere mittelalterliche Zeiten, habe sie durchaus moderne Züge getragen. So führte sie beispielsweise zu einem Frauenanteil von 60 Prozen unter iranischen Studenten. Gleichzeitig wurde jedoch konsequent das Gottesstaatsprinzip durchgesetzt. Die radikale Umwandlung von Staat und Gesellschaft erinnere, so Steinbach, an die totalitären Herausforderungen des 20. Jahrhunderts von Faschismus und Kommunismus. Khomeini als Führer einer revolutionären Avantgarde wirkte wie eine Art „Lenin des Islam“. Die iranische Revolution sei eine Antwort auf die Herausforderungen der Moderne gewesen, der Versuch, Volksherrschaft im Einklang mit religiöser Tradition zu formulieren. Dieses Projekt, wie die jüngsten Entwicklungen zeigten, sei jedoch gescheitert. Offen bleibe, wohin sich der Iran in den kommenden Jahren entwickeln wird.
So düster manche Szenarien wirken, Steinbach sieht dennoch die Chance, dass die islamischen Gesellschaften letztlich Säkularität für sich akzeptieren. Der Weg der Gewalt, der Revolte sei jedenfalls gescheitert.
Was aber bleibt an Alternativen? Als Möglichkeit eines positiven Weges führte er die Türkei an. Mit großer Sorge hatte der Westen den Wahlsieg der islamistischen Partei des derzeitigen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan betrachtet. Doch die Befürchtungen einer radikalen Wende hätten sich nicht bestätigt. Die Regierung Erdogans habe ein klares Bekenntnis zur laizistischen Verfassung und zu Europa formuliert.
Und Europa? So offen der Prozeß des EU-Beitritts der Türkei sei, Steinbach sieht für beide Seiten große Chancen. Europa könne nur bestehen, wenn es sich öffne, eine quasi „osmotische“ Beziehung – ökonomisch, wie politisch – mit dem Mittelmeerraum eingehe. So schloss der Politologe mit dem leidenschaftlichen Plädoyer für ein multireligiös verfasstes Europa, denn wenn es sich abschotte, werde es „keine Zukunft haben“.Carsten Dippel
Carsten Dippel
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