Kultur: Gänsehautmoment
Andreas Dresen über Cannes, seinen Sympathiepreis und das Festivalroulette
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Von Anfang an atemlose Stille. Schließlich minutenlanger Beifall und Standing Ovations. Während der gesamten Zeit des Abspanns. Zuschauer umarmen Andreas Dresen, manche weinen. „Ein berührender Moment, den ich am liebsten in Bernstein gießen und ins Regal stellen möchte.“ Andreas Dresen, der inzwischen wieder vom roten Teppich in Cannes an seinen Schneidetisch in Potsdam zurück gekehrt ist, strahlt. Sein sympathisch offenes Lachen. Dass gerade er an der Côte d“Azur den Sympathiepreis gewann, passt genau. Doch natürlich bekam er ihn nicht für seine gewinnende Art, sondern für einen Film, der ungeschminkt zur Sache geht. Für seinen bislang ernstesten Film. „Was nicht heißt, dass man darin nicht lachen kann.“
In „Wolke 9“ geht es um Liebe im Alter: um eine Dreiecksgeschichte mit beträchtlicher Fallhöhe. „Denn wenn man nach 30 Ehejahren seinen Partner verlässt, ist nicht mehr so viel Zeit danach. Da spielt eine große Tragik mit. Doch wenn die Liebe wie eine Naturgewalt hereinbricht, kann man sich nicht wehren.“
Während der 44-jährige Regisseur in „Halbe Treppe“ über Beziehungen von Paaren in seinem eigenen Alter erzählt, wollte er in „ Wolke 9“ eine Gesellschaft zeigen, in der die Menschen zwar immer älter werden, ihnen aber ab 60 Jahren nichts mehr zugetraut wird. „In der Arbeit ebenso wenig wie in der Sexualität. Mit dieser Vorstellung wollte ich aufräumen und einer Generation ihre adäquaten Bilder geben: ehrlich und nicht in kitschig-verquaster Art.“
Das setzte am Drehort natürlich sehr viel Vertrauen voraus, gerade bei den Nacktszenen: „Wir waren nur vier Leute, mit einer kleine Videokamera dabei. Kein künstliches Licht. Alles sehr familiär. Die Auszieh-Szenen drehten wir gleich am Anfang, die Schauspieler wollten sie hinter sich haben. Später merkten sie, dass es problematischer ist, die Seele zu entkleiden, als die Kleider fallen zu lassen.“
Schon dass sein Film in Cannes lief und zu den etwa 50 Filmen im Haupt- und Nebenwettbewerb gehörte, die unter 4000 Einsendungen ausgewählt wurden, sei ein Geschenk. „Cannes ist eine Riesenbühne für den Film, ein legendärer Ort. Viele Regisseure, die ich verehre, sind schon dort gewesen: Fellini, Truffaut, Hitchcock, Ken Loach oder jetzt die Dardenne-Brüder. Auch Woody Allen habe ich aus der Ferne gesehen.“
Der Gang über den roten Teppich war allerdings weniger sein Ding: „Es ist nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, mich zu präsentieren. Aber unser Einmarsch war angenehm bescheiden, denn uns kannte ja keine ,Sau“. Und Leonardo di Caprio lief auch nicht neben mir.“ So blieb ihm und seinem 14-köpfigen Team, das geschlossen angereist war, „das Riesengeschrei wie auf dem Rummelplatz“ erspart.
Als sich schließlich der Vorhang für „Wolke 9“ öffnete, sei er fürchterlich aufgeregt gewesen. „Es war das erste Mal, dass ich meinen Film auf Leinwand sah. Er kam gerade frisch aus dem Kopierwerk.“ Wie würde das Publikum reagieren? „Schließlich geht es gleich recht drastisch zur Sache.“ Gerade in so einer Vorstellung ohne „normales“ Publikum, wo sich die internationale Filmbranche trifft, habe er ein distanziertes Klima erwartet. Und wurde schließlich doch mit Herzlichkeit überschüttet. „Die Zuschauer waren aufgewühlt und wir damit auch. So einen Gleichklang über einen Film zu erreichen, ist schon bewegend.“
Mit einem Preis habe er dennoch nicht gerechnet. Als am Samstagnachmittag der Anruf mit der frohen Kunde kam, war er schon bei seiner Freundin in Rostock. „Da hatte ich keine Chance mehr, einen Flug bis zur abendlichen Verleihung zu bekommen. Natürlich wäre ich gerne dabei gewesen.“ Ihm blieb nur, eine Dankes-Mail zu schreiben, die dann in Cannes verlesen wurde. „Ich weiß noch nicht einmal, wie der Preis aussieht. Aber es ist wohl eine Urkunde mit einem Herzen drauf.“
„Wolke 9“ lief in der wichtigsten Nebenreihe des Festivals: in „Un certain regard“, die für die Erneuerung der Filmkunst und für einen innovativen Blick steht. Er erhielt einen der drei Preise, die für die 22 darin gezeigten Filme vergeben wurden: den Herzschlag-Jurypreis. „Dieses Festival hat uns erstmal Hoffnung gemacht. Jetzt müssen wir sehen, wie das normale Publikum reagiert, wenn der Film ab August in die Kinos kommt.“
In Cannes, wo sich Verleiher aus aller Welt treffen, wurde der neue Dresen-Film bereits an zehn Länder verkauft, bis nach Kanada. „Er läuft international offensichtlich wesentlich besser als ,Sommer vorm Balkon“. Die Geschichte ist eben universell, auch durch den Blick, den man einnimmt und durch die Konkretisierung. Und nach der Liebe sehnen sich die Menschen nun mal überall auf der Welt.“ Nur in den arabischen Ländern dürfte „Wolke 9“ auf Grund der Nacktszenen nicht funktionieren.
An seiner Arbeit habe sich durch Cannes insgesamt nichts geändert. „Nur, dass man uns schon kennt, sollten wir vielleicht wieder mal einen Film einreichen.“
Ob sein neuer Film „Whisky mit Wodka“ auch festivalverdächtig ist, könne er jetzt noch nicht sagen, betont Andreas Dresen. „Erst müssen wir am Schneidetisch das ganze Material sichten und eine Form dafür finden.“
Ohnehin sei jedes Festival ein Roulettespiel. „Es ist ganz viel Glück dabei, ob man den Nerv der Jury trifft. Eine andere Jury hätte vielleicht über ,Wolke 9“ anders entschieden. Es ist immer auch ein subjektives Urteil. Und den perfekten Film gibt es sowieso nicht. Er ist ein Spiegel der eigenen Unvollkommenheit zur Zeit seiner Entstehung. Und während man als Regisseur guckt, was man richtig und was man falsch gemacht hat, ist man schon wieder mitten drin im nächsten Film.“ Für Andreas Dresen und sein Team fiel die Kugel im Roulette von Cannes auf die richtige Zahl: „Zu den insgesamt zehn Siegern dazuzugehören, das ist eine Anerkennung für das ganze Team, gerade, weil es eine so kleine Produktion war. Dieser Sympathie-Preis ist das I-Tüpfelchen. Aber auch, als ich bei der umjubelten Vorführung auf meine drei Schauspieler geschaut habe, bekam ich Gänsehaut. Cannes war für uns alle wie ein schöner Betriebsausflug.“
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