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FREITAGS: Ganz nah

Wir sitzen vor den Fernsehbildern und schlucken. Da reißen sich Massen urplötzlich wie von Geisterhand aus der Erstarrung, gehen auf die Straße und trotzen Angst und Gewalt.

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Wir sitzen vor den Fernsehbildern und schlucken. Da reißen sich Massen urplötzlich wie von Geisterhand aus der Erstarrung, gehen auf die Straße und trotzen Angst und Gewalt. Von einer Stunde auf die andere lassen sie sich nicht mehr für dumm verkaufen, glauben nicht an Wahlergebnisse, die ihnen so staatsmännisch aufgeplustert untergejubelt werden sollen. Die Politik des Bevormundens kommt ins Schlingern. Wir fühlen uns, als würde uns ein Spiegel vorgehalten. Auf einmal ist wieder alles ganz nah: Das Trommeln für China in der Erlöserkirche, als sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens Blutlachen ausbreiteten, die ersten Demonstrationen auf der Brandenburger Straße, die Rede von Detlef Kaminski in der aus allen Nähten platzenden Friedrichskirche, als er den Wahlbetrug in Potsdam anprangerte. Ungeachtet des Aufgebotes von Sicherheitskräften begehrten die Bürger auf, setzten ihren gesunden Menschenverstand, ihr sehnsuchtsvoll für Demokratie pochendes Herz gegen Lethargie und Willkür. Die Ausstellung im Potsdamer Landtag mit den „Linienuntreue“-Fotografien von Bernd Blumrich zoomt alles wieder heran, was Hast und Wirrnis des neuen Alltags zu überdecken schienen. Wir sehen uns erneut in der Zerrissenheit und staunen, dass alles, was so unumstößlich schien, plötzlich in Bewegung geriet. Und wir bangen umso mehr mit den Demonstranten im fernen Iran, hoffen auch für sie auf das so Unglaubliche: auf eine friedliche Wende, auf Menschlichkeit statt Waffen.

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