zum Hauptinhalt

Kultur: Ganz normal verrückt

Aktionstage „Ferrücktes, Imposantes, Leben, psychisch kranker Menschen im Film“ versuchte den „Wahnsinn“ näher zu bringen

Stand:

Aktionstage „Ferrücktes, Imposantes, Leben, psychisch kranker Menschen im Film“ versuchte den „Wahnsinn“ näher zu bringen Die Gesichter der meisten Filmregisseure verdunkeln, wann immer sie hören, ihr Film wäre „so wie die Wirklichkeit“. Sofern er keine Dokumentarfilme macht, reagiert der Künstler verschnupft. Er wollte doch die Wirklichkeit mit seinem Film transformieren und nach Möglichkeit verändern. Seelisch Kranke, also Depressive, Schizophrene und Süchtige haben auch Probleme mit der Realität. Sie sind glücklich, wenn sie in der Wirklichkeit leben dürfen, wenn sie sich in ihr wiederfinden. Ulla Wagner, die vor zwei Jahren den Spielfilm „Anna Wunder“ über eine Elfjährige und ihre alkoholabhängige, manisch-depressive Mutter gedreht hat, wusste das Lob der Psychiatrieerfahrenen, das sie im Filmmuseum wegen der besonderen Wirklichkeitsnähe des Films erhielt, einzuordnen. Ihr steht das Mädchen Anna in ihrer Entwicklung zur Frau, wie sie mit Jungen und Männern umgeht, wie sie sich nach einem Vater sehnt, näher. Aber den Experten und Betroffenen, die auf dem Podium Platz genommen haben, um über die Darstellung psychisch kranker Menschen in den Medien zu sprechen, sah sie nach, wenn ihnen die gezeigte strahlende Aura des Erwachsenenwerdens nicht so wichtig war. Es ging an diesem Abend, den der paritätische Wohlfahrtsverband schon im dritten Jahr veranstaltet und mit Fachvorträgen umrahmt, darum, seelische Erkrankungen dem „Otto-Normalverbraucher“ nahe zubringen, wie Claudia Zinke vom „Paritätischen“ sagte, und dabei besonders auf die Situation der Kinder und Angehörigen der Patienten zu schauen. Psychisch Leidende sind immer noch eine Randerscheinung in unserer Gesellschaft, obwohl die Weltgesundheitsorganisation WHO weiß, dass sechs Prozent der Bevölkerung dauerhaft seelisch erkrankt sind – und zwar in jeder Kultur, weltweit. Statistisch gesehen haben oder hatten 18 Prozent aller Menschen Erfahrungen mit seelischen Erkrankungen. Wie aber geht es den Kindern und Angehörigen? Die Film-Anna, so sagt die Sozialpädagogin Carmen Eger, zeige, so rührend sie sich um ihre Mutter und den kleinen Bruder kümmere, die klassische „Parentifizierung“. Kinder von Psychiatrieerfahrene übernehmen häufig die Erwachsenenrolle des Versorgers, auch eine Vermittlerfunktion, setzen sich durch; sie sind frech und lügen auch mal, wenn es sein muss. Die Film-Anna klaut der Mutter Alkohol, ohne den gar nichts mehr geht, und unterschreibt für sie den eigenen Aufnahmeantrag fürs Gymnasium. Wagners Film ist in den Wirtschaftswunderjahren angesiedelt, doch ist er in seiner Thematik zeitlos. Lutz Zywicki vom Netzwerk der Psychoseerfahrenen, die sich im Potsdamer I-Punkt in der Mauerstraße regelmäßig treffen, kennt die Situation der Ausgrenzung, in der sich die kranke alleinerziehende Mutter Sophie mit ihren Kindern befindet. „Alle wollen etwas von ihr, doch niemand will mit ihr wirklich zu tun haben.“ Von psychisch Kranken wäre man oft irgendwie fasziniert, und gleichzeitig abgestoßen. Filmkritiker Knut Elstermann sprach als „ganz normaler Gucker“. Im Gegensatz zum „verlogenen Kitsch“ amerikanischer Produktionen zum Thema wie „Beautiful Mind“ oder „Forrest Gump“, in denen das geniale Talent der Helden, nachdem es erst einmal entdeckt wurde, den Weg zum amerikanischen Erfolgsmodell ermögliche, würde die Krankheit in Wagners Film weder verteufelt noch verherrlicht. Zywicki teilte zwar diese Meinung, wies aber darauf hin, dass auch psychisch Kranke erfolgsorientiert sein wollten, dürften und müssten. Herbert Fuchs vom Sozialministerium verwies angesichts des haarsträubenden Einblicks, den die Film-Anna aus dem Innern einer klassischen „Irrenanstalt“ bekommt, auf die Verbesserungen im staatlichen Hilfssystem. Mittlerweile stehe in Brandenburg Betroffenen und deren Angehörigen ein dichtes Netzwerk aus mehr als 100 Beratungsstellen zur Verfügung. Ingrid Herzog vom Angehörigenverband betonte, dass für alle Beteiligten, Ärzte, Psychologen und Familien eingeschlossen, vor allem eines wichtig sei: miteinander zu reden. Matthias Hassenpflug

Matthias Hassenpflug

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })