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Kultur: Ganz oder gar nicht

Franziska Meletzky mit ihrem Film „Frei nach Plan“ beim Aktuellen Potsdamer Filmgespräch

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Auf dem Filmfest in Shanghai trug das begeisterte Publikum Christine Schorn auf Schultern durch den Saal. Man bejubelte sie als die kraftvolle Mutter, die zwischen Absturz und sich aufbäumender Vitalität das Leben durchschritt. Ihre Figur in dem Film „Frei nach Plan“ ging den Chinesen offensichtlich nahe. „Sie waren völlig ergriffen und weinten sogar. Christine sagte nur: ,Die haben bestimmt auch eine saufende Mutter zu Hause“.“

Diese kleine Geschichte erzählte Regisseurin Franziska Meletzky beim Aktuellen Potsdamer Filmgespräch am Dienstag Abend im Filmmuseum. Dort musste sie sich allerdings ohne Christine Schorn und die anderen „Mädels“ – wie die junge Regisseurin liebevoll ihre ältere Darstellerriege nennt – schlagen. Was ihr nicht schwer fiel: Schließlich hatte sie die Sympathien der Zuschauer ebenfalls auf ihrer Seite – auch wenn sich die Euphorie wesentlich gedämpfter äußerte als im fernen Osten. Lob erntete Franziska Meletzky vor allem für die herausragende Führung der Schauspieler und für die pointenreichen Dialoge. Kein aufgesetzter Zeigefinger, kein Moralisieren: Jede Figur schillert in der ihr eigenen Farbe und wurzelt zutiefst im Alltag, wie ihn jeder kennt. Mit der dazu gehörenden Komik.

„Frei nach Plan“ erzählt über den runden Geburtstag von Mutter Silvia, der auch Tochter Anne (Dagmar Manzel) endlich mal wieder nach Hause zieht. Das verrückte Huhn bringt Leben in die eingefahrenen Familienbahnen, auch in die der beiden Schwestern. Die eine (Corinna Harfouch) wohnt noch bei der Mutter und nimmt ihr Schicksal als treusorgende Tochter couragiert an. Die andere (Kirsten Block) hat es sich mit Mann und Kind im kleinen Häuschen in der Nähe gut eingerichtet und selbst die lange Arbeitslosigkeit des Gatten kann ihrem Frohgemut nichts anhaben. Bis die lebenshungrige Abenteurerin Anne doch tatsächlich diesen, ihren Mann (Robert Gallinowski) vernascht ... Leben und Liebe entziehen sich eben jedem Plan.

Schon mit „Nachbarinnen“, den Franziska Meletzky 2004 als Diplomfilm an der HFF drehte, konnte sie überzeugen und Preise einfahren. Eine ihrer Trümpfe hieß damals Dagmar Manzel. „Beide sagten wir uns am Ende der Drehzeit, wir müssen weiter zusammen arbeiten.“ Und so entwickelte sich dieses Projekt über die Familie: „der kleinsten gesellschaftlichen Zelle, an der sich gut der Unterschied ablesen lässt, was man außen zeigt und innen fühlt,“ so die Regisseurin.

Relativ schnell stand für die gebürtige Leipzigerin, die inzwischen mit Mann und zwei Söhnen in Babelsberg lebt, fest, wie sie die anderen Schwestern besetzen würde: Und so kam es, dass Dagmar Manzel zum ersten Mal mit Corinna Harfouch vor der Kamera stand. „Die beiden Stars vom Deutschen Theater haben schon sehr aufeinander geguckt und es wurde nicht nur gekuschelt am Set. Aber wenn wir uns gezofft haben, dann nur darum, wie wir das Ganze noch geiler machen können. Dabei belasse ich es mal“, so die Regisseurin zurückhaltend, die für diese zweite große Arbeit samt Team gerade acht Vor-Nominierungen für den Deutschen Filmpreis bekam.

Auch Credo-Filmproduzent Jörg Trentmann, der den Streifen ab 6. März in die Kinos bringt, zeigte sich sehr früh von der Geschichte angetan. „Ich fand die Komplexität spannend: Der ganze Kosmos einer Familie wird aufgezeigt, und er bekommt Tiefe, wo er etwas erzählt, ohne alles zu erklären.“

Christine Schorn sei erst sehr spät zum Team dazu gestoßen, so Meletzky. „Eigentlich ist sie für die Rolle zu jung, und ich sagte ihr gleich: ,Du bekommst kein schönes Licht und kein Beauty-Make-up“. Aber sie wollte die Rolle unbedingt. Ich merkte dann beim Drehen, wie ich ihr verfalle, obwohl das Buch sehr genau feststand.“ Doch Raum zum Improvisieren müsse sein. Manchmal auch erzwungener Maßen: Wenn es regnet, obwohl für den Dreh Sonne angesetzt ist oder die Szenerie, wie in dem kleinen anhaltischen Städtchen, vom Drehplan abweicht. „Ich empfinde es als Sport, wenn etwas komplett schief läuft, und man es schafft, es gerade deshalb noch besser zu machen.“ Und sie ist ein Dickkopf, wenn sie von einer Idee überzeugt ist, wie von ihrem Elefanten, der am Ende des Films durch die Landschaft läuft. „Alle wollten ihn nicht, sagten, er ist zu teuer und niemand glaubt das.“ Aber dieser Dickhäuter entsprach nun mal ihrem Lebensgefühl. Und das Schicksal trieb ihn ihr dann förmlich in die Arme. Franziska Meletzky erzählt in dem von Katharina Dockhorn moderierten Gespräch, wie sie mit ihren Schauspielerinnen im Auto fuhr und plötzlich in den Nachrichten gesagt wurde, dass Eberhard Esche gestorben sei. „Die Mädels waren total betroffen, weil sie ihn von der Arbeit so gut kannten. Und ich wollte ihn ursprünglich als Vater besetzen, den dann aber Otto Mellies spielte. In diesem Moment der traurigen Stille läuft uns doch tatsächlich ein Elefant über den Weg – von einem Zirkus im Nachbarort ausgebüchst ... frei nach Plan und schließlich sogar viel billiger.“

Obwohl eine Generation jünger, sieht sich die Regisseurin bei ihren reiferen Filmfiguren zu Hause: „Ich fühlte mich schon immer älter als ich tatsächlich bin.“ Und die Impulse für die Familienfeier? Die erhielt sie bei ihrer Tante in Holland. „Dort sehen die Feiern sehr ähnlich aus.“ Zum Glück enden sie aber weniger dramatisch. „Ich musste Silvia sterben lassen, denn das Ende sollte so absolut sein wie der Anfang. Ganz oder gar nicht.“ Das Publikum und die Jurys feiern sie und „ihre Mädels“ dafür, nicht nur in Shanghai.

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