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Kultur: Ganz schön hässlich

Wolfgang Rohloffs Arbeiten im Kunsthaus konfrontieren die Besucher mit den Lügen des Dekorativen

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Schön ist das alles nicht. Schön soll es natürlich auch nicht zugehen bei den Collagen von Wolfgang Rohloff. Nicht im dekorativen Sinn, der ja in der Kunst ohnehin nichts zu suchen hat, aber auch nicht im Sinn einer eigenwilligen oder befremdlichen Ästhetik, wie sie etwa in den Collagen des Dadaisten Kurt Schwitters zu finden ist. Zu dessen Erben, schreibt der Kunstkritiker Heinz Ohff im Katalog zur Ausstellung „Material Trivial“, die derzeit im Kunsthaus zu sehen ist, gehöre Rohloff, und das ist, schon angesichts der vielen Braun- und Gelbtöne, nicht von der Hand zu weisen.

Träger dieser depressiven Farben sind Stepp – und Polsterstoffe, Polyester, Brokat und Fellimitat. Stoffe die lügen, die Kostbarkeit vortäuschen, wo nur Armseligkeit ist. Aus ihnen schneidet er Trauben, Bananen und Zitronen und arrangiert sie zu einer Obstkorb-Collage. Für Dekorateure, die Betten, Sofas und Lappen mit solchen Materialien bekleben und betackern, müssen Rohloffs Arbeiten entblößend sein. Das gelingt eben deshalb so gut, weil Rohloff die falschen – die lebendigen oder natürlichen – Dinge damit darstellt: Früchte, Gemüse, Gesichter und Bäume.

Das lässt einem den Ekel in der Kehle kitzeln. Dass man sich davon so abgestoßen fühlt, liegt an der Trivialität der Materialien. Die nimmt einem fast den Atem, zieht einen hinein in muffige Hotelzimmer, bis zur Leblosigkeit aufgeräumte Wohnstuben oder hin zu Farbpaletten von Bestattungsunternehmen. Das ganz normale Leben also, befreit von all dem Glamour, den man sich – dieser Verdacht kommt unweigerlich, wenn man vor diesen Arbeiten steht – vielleicht viel zu oft im Kopf dazudichtet. Bei Rohloff sind die Versatzstücke des Alltags so trist und lahm wie das Leben vermutlich selbst.

Die absurden Auswüchse dieser Diskrepanz zwischen gefühltem Stilbewusstsein und der tatsächlichen Trashigkeit der eigenen Existenz treibt Rohloff in „Jägerhut“ auf die Spitze. Vor die kitschig mit Acryl hingepinselte Alpenkulisse hat er eine aus Lodenimitat ausgeschnittene Hut-Silhouette aufgeklebt. Weil das offenbar noch nicht reichte, hat er den Hut wiederum mit einer zweiten Alpenkulisse bemalt, diesmal mit Kiefern und Rehkitzen im Abendlicht.

Gleich daneben liegen seine Wurstvariationen: „Wurst mit Schlangenpelle“ und „Wurst mit Blumenpelle“. Die Holzzylinder in Gelb- oder Blutwurstformat hat er außen mit Schlangenlederimitat bezogen, die angeschnittenen Innenseiten mit Blümchen und Leopardenmustern. Sofort sieht man vor dem inneren Augen die falschen Pelzkrägen und Handtaschen der Münchner Schickeria-Damen. Helmut Dietl lässt grüßen.

Diese Assoziation irritiert schon deshalb, weil Rohloff 1939 bei Magdeburg geboren wurde, Anfang der 1960er-Jahre in Berlin studierte und seitdem auch dort lebt. Zitate der Stadt selbst finden sich nicht in seiner Arbeiten im Kunsthaus, dafür aber ein wenig Brandenburg.

„Maler in der Mark Brandenburg“ etwa heißt eine seiner reliefartigen Collagen aus dem Jahr 1989. Auch hier benutzt er seine immer auch an Georg Baselitz erinnernden Lieblingsfarben Braun, Grau, Schwarz und Weiß. Ein matschiges Chaos ist das, aus dem sich schemenhaft drei – übrigens schwarze, nicht rote – Adler erheben. Weiter unten im Bild zerfurchen zersplitterte Metallstriemen die Leinwand, erheben sich aus der zentimeterdicken Farbschicht und tauchen kurz darauf wieder unter. Jeder Halt, alle Struktur ist hier gerade in Auflösung begriffen. Das Bild sticht aus dem großen Rest der Arbeiten heraus. Hier greifen, genauso wie auf „Heuwender“, einmal nicht die ordnenden und vermeintlich kultivierenden Kräfte, die seine anderen Arbeiten formen. Brandenburg, könnte man schlussfolgern, war damals, 1989, noch völlig frei von der Kruste der Dekoration. Stattdessen: Schmutz, Erde, Leben. Es ist erholsam, vor diesem Bild zu stehen, bevor man sich wieder den Pop-Art-Collagen zuwendet. Dem deutschen Schäferhund direkt daneben etwa, der einen zwar typisch-treudoof anguckt, aber zugleich lebloser ist als der Brandenburger Schlamm direkt daneben.

Und so ist diese ganze Ausstellung eine Herausforderung, sie reibt und kratzt und scheuert an jeder Ecke ein bisschen Sand ins Bewusstsein. Wer sich dem aussetzt und den eigenen Widerwillen überwindet, dem gelingt vielleicht nicht die ganz große Erkenntnis. Der wird sehr wahrscheinlich nicht erschüttert in seinen Überzeugungen und ganz sicher nicht berührt von erhabener Schönheit. Aber womöglich befreit sich das ureigenste ästhetische Empfinden angesichts dieser konzertierten Überlast an Hässlichkeit von einigem Ballast. Der Blick könnte sich schärfen für all die gestalterischen Lügen, mit denen jeder Einzelne täglich abgefertigt wird und die man immer wieder gerne glaubt, weil sie dem Leben ein bisschen mehr Glanz und Schönheit verheißen.

Eine Schönheit, die Rohloff vielleicht am Ende selbst irgendwann vermisst hat: Seine jüngsten Arbeiten, von 2008 und 2011, lösen alles vorher so akkurat Gegenständliche auf, bunte Linien verfransen sich zu knapp 2 mal 1,50 Meter großen abstrakten Flächen. Von allen Braun, und Rosttönen hat es sich verabschiedet, frisches Grün, Rosa, Hellblau und Weiß schwurbelt da durcheinander oder zerbirst in kleine Fragmente. Das scheint schön, aber wer weiß. Vielleicht lässt man sich auch hier vom Dekorativen täuschen.

Die Ausstellung „Material Trivial“ ist noch bis zum 22. Juni im Kunsthaus, Ulanenweg 9, jeweils mittwochs von 11 bis 18 Uhr, donnerstags und freitags von 15 bis 18 Uhr und an den Wochenenden von 12 bis 17 Uhr geöffnet

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