Kultur: Ganz und gar nicht „süß“
Im Alten Rathaus geht“s „Zur Sache“ / Drei Frauen brechen mit dem Klischee des Weichen
Stand:
Das Potsdam-Forum im Alten Rathaus hat gemeinsame Sache mit der GEDOK Brandenburg, der Künstlerinnenvereinigung des Landes, gemacht – und heraus gekommen ist eine bemerkenswerte Ausstellung. „Zur Sache“ will wohl – nicht nur durch den kämpferischen Titel – beweisen, dass Frauen ihren Standpunkt zur Kunst haben und vertreten, selbst wenn das mit dem Klischee des Weichen, Weiblichen und sexuell Lockenden bricht. Hier geht es richtig „zur Sache“, und die ist Kunst.
Zuerst mag dem Besucher die Etagen verbindende Fahne von Gertraude Pohl auffallen, der eine Serie von ins Riesenhafte vergrößerten Daumenabdrücken zeigt. Sie hängt im Treppenhaus von oben bis in den Keller und macht uns unmissverständlich klar, dass wir alle eingescannt, vermessen, identifiziert sind. Aber eben auch so unterschiedlich wie die drei Handschriften der Fotografin Ingrid Hartmetz, der Malerin Sabine Slatosch und der Objektkünstlerin Gertraude Pohl.
Ingrid Hartmetz, die 1941 bei Dresden geboren wurde, präsentiert in ihrer aktuellen Arbeit fast keine Menschen, obwohl sie durch Porträts von Frauen, wie Asylantinnen, Wäscherinnen und Widerstandskämpferinnen bekannt wurde. Jetzt hat sie offensichtlich ihren Fokus verändert und zeigt Menschenbilder – ohne Menschen. In ihrem Zyklus „Sachsenhausen, ehemaliges Konzentrationslager“ geht sie mit dem Zoom ganz nah an den Boden: Da sprechen die Pflastersteine von den vergangenen und geschundenen Leben, da zeigen die Risse in der aufplatzenden Erde die Verwerfungen im Dasein der Gefangenen, da wird das Gras zum Symbol der Grausamkeiten. Die Fantasie des Betrachters findet in diesen Spuren weitläufige Projektionsflächen. Ihre in dem hinteren Raum etwas versteckt hängenden Körperbilder zeugen von der Auseinandersetzung mit der Gefährdung durch die Krankheit: Mammografien zeigen die feinen Verästelungen der Adern in der Brust und sehen doch so fein und ästhetisch aus wie japanische Zeichnungen. Unschärfen bei der Aufnahme einer nackten Tänzerin werfen uns aus unserer Beobachtungsroutine. Sie machen, ähnlich wie die Aufnahmen aus „Der Weg – die Zeit“ das Prozessuale und die Endlichkeit des Lebensweges erfahrbar. Der Zyklus „Eröffnung einer Einkaufspassage“ anonymisiert die Neugierigen in einer Art Spiegelung, die wirkt, als würden die Eröffnungsgäste in der Einkaufspassage wie durch eine Art verwässertes Gelände laufen – der einzelne Mensch ist da jedenfalls seiner Individualität beraubt, scharf abgebildet werden nur mehr die Schaufensterpuppen.
Gertraude Pohl, 1940 in Zittau geboren, arbeitet mit ihren Objekten raumgreifend und – verändernd: Ob sie mit ihren „Tüten und Texten“ den Stadt- zum Assoziationsraum erweitert und dabei durch aufgedruckte Zitate („Unsere Ansichten / gehen als Freunde/ auseinander“, Ernst Jandl) nachdenklich stimmt, oder ob sie „Das Blaue vom Himmel im Wasser“ durch neun Kissenobjekte auf den Sockel hebt, stets verändert sich durch ihre Objekte und Installationen der Raum. Die „Vor dem Wind“ genannte Arbeit versammelt etwa 60 feine Holzstäbe in halber Menschengröße, deren Köpfe als Papierflieger mit roten, gelben oder heufarbenen Haar-Ähren im Lufthauch schwanken, ohne umzufallen. Vor den hohen Fenstern des Raumes im Obergeschoss schweben als Vorhänge Kunststoffgeflechte mit Mustern, die mal wie Flammen, dann wieder wie Daumenabdrücke wirken und das Licht auf eigene Weise diffundieren. Ihre drei Bilder aus der Reihe „Äpfel und Birnen“ zeugen von Humor und ausgeprägt ornamentalem Gespür. Pohls Installation „Offenbar“ kann aufgrund der vielen (Tüten-)Öffnungen durchaus auch als humorige Auseinandersetzung mit der Frau als Behältnis gesehen werden – man kann es aber sicher auch anders deuten.
Sabine Slatosch ist 1954 geboren und somit die jüngste der Ausstellenden. Sie zieht mit ihren meist auf Holz lasierten Bildern den Betrachter in den Sog einer Bildsymbolik, die nicht viel Harmonisches kennt. „Der Marsch“ aus dem Jahr 1989/90 zeigt eine Menge Kinder, die wie hungrige Wölfe eine von hohen Mauern eingeengte Gasse durchlaufen, auf den Betrachter zukommen und auf ihren Gesichtern den erschreckenden Ausdruck verfrühter Resignation und Gewaltbereitschaft tragen. Dies irritiert stärker als ihre Nacktheit, die auch nichts Süß-Kindliches kennt. Slatoschs Themen speisen sich aus dem Bereich der Mythen, dem Geheimnis und dem Unheimlichen. Wie in „Wolfstanz“ wo die Frau mit Speer und Wolfsmaske gerade dabei ist, ihre Traurigkeit durch das Bedrohungsszenario auszutauschen.
Lore Bardens
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