Kultur: Gardine auf für Brecht und Rock ’n’ Roll
„Von Kindheit an sann ich zumeist auf Böses“ heißt ein Liederabend im HOT. Heute ist Premiere
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Wer das sozialistische Bildungssystem durchlitten hat, dem begegnete Brecht hauptsächlich als Dramatiker. Als Autor von schwerem Stoff, „Mutter Courage“ oder „Der Kaukasische Kreidekreis“, und im Musikunterricht wurde „Die Dreigroschenoper“ politisch ausgeschlachtet. Starkes Theater über starke Frauen, gesellschaftskritische Anmerkungen in einer großartig verschlüsselten und dabei doch so deutlichen Sprache. Dass Brecht auch sinnliche, erotische, sensible Lyrik schrieb, bisweilen auch derbes und fast pornografisches Zeug, das sagte einem damals keiner. Das musste man schon selber rausfinden.
Jetzt zeigt das Hans Otto Theater einen Brecht-Abend, auch mit ebensolchen Liedern. Ein Konzert, in dem es mit Brecht durch ein ganzes Jahrhundert gehe, mit seinen Höhen und Tiefen in einer frischen, modernen Inszenierung, sagt Regisseur Niklas Ritter. „Er war ein Dramatiker und Lyriker, der bisweilen auch Schulmeisterliches in sich trug“, sagt er. „Aber trotzdem wurde er nie altersweise. Seine Wildheit hat er nie abgelegt.“
Diesen Brecht möchte Ritter mit dem Liederabend zeigen. „Brecht entstauben“ nennt er das. Und korrigiert: Nicht Brecht müsse entstaubt werden, „er ist für mich der größte deutsche Dichter des 20. Jahrhunderts, neben Kafka“. Aber: „Die Leute haben manchmal leider Staubwolken im Kopf, wenn sie an ihn denken. Wir wollen diesen Staub runter wischen.“
„Von Kindheit an sann ich zumeist auf Böses“, heißt der Abend, der dramaturgisch zwischen „Rocky Horror Picture Show“ und „Cabaret“ pendelt. Der die Vielseitigkeit des Dichters ausdrücken will – und die Aktualität. „Seine Texte tragen immer Relevanz“, sagt Ritter. Acht Schauspielerinnen und Schauspieler singen und spielen, was Kurt Weill, Paul Dessau und Hanns Eisler dem Dichter auf den Leib komponierten, was Lotte Lenya, Helene Weigel, Kurt Gerron und Erich Ponto so schön sangen. Und viele nach ihnen; gecovert wurde der Deutsche immer und gern, die Doors sangen 1967 den „Alabama Song“, den Brecht 1925 geschrieben hatte, und „Surabaya Johnny“, eine traurige Ballade über einen untreuen Kerl, die sangen auch Milva, Nina Hagen und Bette Midler.
So wird einem im Konzert manches begegnen, das man hier und da gehört hat – möglicherweise, ohne es immer mit dem Autor Brecht in Verbindung gebracht zu haben. Noch dazu, wenn Ritter die Gedichte mit Rockmusik kombiniert. Es wird aber auch leise Töne geben, Lieder, die ein- oder mehrstimmig gesungen und nur vom Piano begleitet werden. Dann wieder sinken die Schauspieler auf die Knie und singen als Kinder mit verqueren naiven Stimmchen das Lied von Mutter Beimlein, traurig und witzig inszeniert. „Mutter Beimlein hat ein Holzbein, damit kann sie ganz gut gehen. Und mit ’nem Schuh, und wenn wir brav sind, dürfen wir das Holzbein sehn.“
Frack oder Hosenanzug, Lack und Leder, Engelsflügel, Maske und Perücke lassen die Bühnenprotagonisten immer wieder anders und bunt aussehen. Wie es im Brecht’schen Theater üblich war, ist der Zuschauer mittendrin. Ihm wird nichts vorgemacht und er darf zuschauen, wie sich umgekleidet wird, Kulissenteile verschoben werden. Es ist eine Show in der Show. In der Probe ist das Seil quer über der Bühne noch ohne Vorhang, noch ohne Brecht-Gardine, wie man den manuell zu bedienenden Vorhang, den der Dramatiker bevorzugte, heute immer noch nennt. Vielleicht kommt ja noch etwas dran, aber so nackig passt er gut zu der Situation, die an einen offenen, nie endenden Prozess erinnert, in dem der Dichter Brecht in immer wieder neue Zusammenhänge gestellt wird. Und dadurch dem Zuschauer immer wieder neue Stellen zum Andocken geboten werden.
Bleibt noch der Hinweis auf den Brecht, der für sich Liebe und Sexualität entdeckte und das in Gedichte packte. „Engel verführt man gar nicht oder schnell. Verzieh ihn einfach in den Hauseingang. Steck ihm die Zunge in den Mund und lang ihm untern Rock, bis er sich nass macht“ schrieb er „Über die Verführung von Engeln“. Der Komponist und Pianist Tilmann Ritter hat es für den Brecht-Abend vertont, ein frecher Rocksong à la Madonna oder Cyndi Lauper ist daraus entstanden. Steffi Pyanoe
Premiere am heutigen Freitag um 19.30 Uhr im Hans Otto Theater in der Schiffbauergasse. Die Karten kosten 13 - 33 Euro, Tel. Theaterkasse (0331) 98 118
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