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Von Dirk Becker: Geballte Power Psychobilly
Die Potsdamer Band Thee Flanders hat mit „The Spirit of 666“ ihr fünftes Studioalbum veröffentlicht
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Sie hatten eine Einladung aus Hollywood. Dort, auf einem Festival, sollten Thee Flanders spielen. Doch Sänger Norman Winter sagte ab. Wie jede Konzertanfrage aus dem Ausland, für das die Musiker in ein Flugzeug steigen müssten. „Flugangst“, nennt Norman Winter als Begründung. Eine kurze Nachfrage, ob das vielleicht als Scherz gemeint sei? Doch Norman Winter verneint. Gitarrist Dennis hatte auf einem früheren Flug sehr schlechte Erfahrungen machen müssen. Ein hartgesottener Zeitgenosse würde wohl nur von starken Turbulenzen sprechen. Doch für den Gitarristen der Flanders hat das gereicht. Kein Flugzeug mehr, selbst wenn eine Einladung für eine Tournee aus Japan kommen würde.
Und die anderen vier Bandmitglieder akzeptieren das? „Selbstverständlich“, sagt Norman Winter. Wenn die Fans Thee Flanders auf der Bühne erleben wollen, müssen die nach Potsdam kommen. „Die haben schließlich den gleichen Weg“, sagt Norman Winter trocken und lacht.
Auch wenn das nach einer gehörigen Portion Größenwahn klingt, selbst wenn die Fans es wollten, ganz so einfach ist es nun auch wieder nicht.
In der vergangenen Woche ist mit „The Spirit of 666“ das fünfte Studioalbum von Thee Flanders erschienen. Vor knapp vier Jahren haben die fünf Potsdamer mit den Aufnahmen für die ersten Lieder begonnen. „Irgendwie ist immer etwas dazwischen gekommen“, antwortet Norman Winter auf die Frage, warum es so lange gebraucht hat, die 14 Titel endlich zu veröffentlichen. Sie haben eine „Best Of“-Kollektion zusammengestellt, an Filmaufnahmen für DVD-Produktionen gearbeitet und natürlich das Familienleben gepflegt. Das ist auch der Grund, warum Thee Flanders entgegen aller Regeln im Musikbetrieb das Erscheinen von „The Spirit of 666“ nicht mit einer ausgiebigen Tour begleiten.
„Wir haben jetzt sogar erst einmal ein Jahr Live-Pause eingelegt“, so Norman Winter. Einer der Musiker ist gerade Vater geworden. Wenn er abends von der Arbeit kommt, schläft sein Kind schon. Und so will er wenigstens die Wochenenden mit seiner Familie verbringen. Die Fans aus Übersee also können sich den langen Weg nach Potsdam vorerst sparen.
Thee Flanders, das wird in dem Gespräch zwar langsam aber umso deutlicher klar, ist vor allem ein Kunstprojekt. „Unser Hobby“, wie Norman Winter es nennt. Hobby klingt dann doch etwas zu banal. Das, was die fünf Musiker, mittlerweile zwischen Anfang und Mitte 30 und alle Väter, seit über zwölf Jahren immer wieder in den Proberaum und gelegentlich auf die Bühne treibt, ist eine große Leidenschaft, und eine herrliche Art, immer mal wieder die Sau rauszulassen.
Thee Flanders machen Druck in Form von Psychobilly, einer verschärften und radikalen Form des Rock’n’Roll, in der vor allem der Punk die Oberhand behält. Optisch pflegten Thee Flanders über die Jahre ein etwas gewöhnungsbedürftiges Image. Bleiche Gesichter, verziert mit aufgeklebten Wunden und viel Kunstblut. Der Hang zum Horror und seinen optischen Spielarten gehöre zur Szene der Psychobillys halt dazu, so Norman Winter. Die Musiker von Thee Flanders haben das nie besonders ernst genommen. „Das ist wie Halloween.“ Nur mancher braver Zeitgenosse, der unerwarteter Weise eines dieser Horrorbilder in seiner Tageszeitung entdeckte, gab sich empört. Solch ein Schund könne er doch seinen Kindern am Frühstückstisch nicht zumuten. Wer so denkt, der sollte dann lieber auch die Finger von „The Spirit of 666“ lassen.
Das Album ist ein außer Rand und Band geratener Angriff auf den guten Geschmack. Ein hammerhartes Schlagzeug, das zwischen wilder Treibjagd und herrlich-atemlosen Geknüppel durch die Lieder hetzt, eine gnadenlose und rasiermesserscharfe Rockabilly-Gitarre mit dem typischen Twäng der Gretsch-Instrumente und ein bedrohlich knurrender und dann wieder wild holzender Kontrabass. Was Thee Flanders auf „The Spirit of 666“ für ein höllisches Hexengebräu bieten, ist der Musik gewordene Titel ihres Debüts aus dem Jahr 2003: „Punkabilly from hell“. Wenn dann auch noch Norman Winter seine räudige Reibeisenstimme mit lautem Geheul in das Getümmel schickt, ist die Hatz perfekt und jagt von einem Höhepunkt zum nächsten.
In einem Proberaum des Babelsberger Jugendclubs Nowawes hat die Geschichte von Thee Flanders begonnen. Viel war damals noch Versuch. „Wir mochten Psychobilly, wollten nichts anderes spielen, waren aber technisch noch nicht so weit“, so Norman Winter. Aber mit der Geduld und Gelassenheit, die Thee Flanders auch noch heute prägt, haben die Musiker ihren Weg gefunden. Wer das neue Album hört, merkt, dass in den Liedern mehr als nur der Einfluss vom wildgewordenen Psychobilly steckt. Thee Flanders sind äußerst eigenwillig und erst einmal an ihre Instrumente gelassen, geben sie sich als wirklich garstiges Biest. Aber eines, das man trotz oder gerade wegen seiner Wildheit und der zahlreichen Eigenheiten schnell ins Herz schließt.
Aber Vorsicht: Der ausgiebige Genuss bei übermäßiger Lautstärke von „The Spirit of 666“ unter Kopfhörern auf Flugreisen könnte zu unerwarteten Nebenwirkungen wie beispielsweise Flugangst führen!
„The Spirit of 666“ ist beim Dessauer Label Halb 7 Records erschienen und kann dort unter www.halb7records.de oder unter www.myspace.com/theeflanders bestellt werden
Dirk Becker
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