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Kultur: Gebote in Neonschrift

Im Fluss der Zeit: Ein Jahr „Fluxus-Museum +“ auf dem Gelände der Schiffbauergasse

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Fluxus ist eigentlich immer im Wettlauf mit der Zeit. Das „Fluxus-Museum +“ auf dem Gelände der Schiffbauergasse auch. Fluxus ist ja Bewegung, Aktion. Mit einem schönen Fest wurde am Samstag sein einjähriges Bestehen gefeiert. Vom Krongut kam eine quadratmetergroße Marzipantorte mit Happy-Birthday-Schrift für alle, den Kindern wurden Detektivspiele und Schmink-Aktionen organisiert, Führungen wiesen auf interessante Neuerwerbungen hin. Emmett Williams’ bunte „Little Mens“ tappelten durchs ganze Haus, eine Band-Legende spielte, und zum Abend hin wurde ein neues Werk mit schönen und mit offiziellen Worten an der Außenwand zum Schirrhof eingeweiht.

Aktionen, also, Fluxus am Fluss – und jede Menge Gäste. So wurde eine Abordnung der Potsdamer Linken gesichtet, die Heinrich Liman, einem der Geschäftsführer, versprach, sich etwas um die „Zuschauerbelebung“ vor Ort zu kümmern. Das kann ja, angesichts der Parkplatz-Diskussion, nur gut sein, einer Fluxus-Aktion wäre es – Künstler! – ohnehin wert: „Moderne? No Parking!“

Liman führte dann auch durch die heiligen Museums-Hallen, denn von Wolf Vostell bis zu Sebastian Heiner kennt er ja viele der ausgestellten Künstler persönlich. Er führte gut, erklärte lebendig, was denn „Fluxus“ sei: Grenzverwischung von Kunst und Leben zugunsten der Kunst, collagenhaft organisierte Geschehens-Abläufe, Werke ohne den Anspruch auf Ewigkeit, letztlich eine radikale Demokratisierung von Kunst und Kultur. Von den Neuerwerbungen erzählte er folgendes: „It’s all about George“ ist eine Hommage von Wolfgang Hainke an Georg Maciunas, den litauischen Erfinder der Fluxus-Bewegung, die ihren Namen aus dem Fließen herleitet. Ein Wortgebilde, Teaching Chart, Offset-Druck auf LKW-Plane, in luftiger Höhe angebracht.

Von dem 1940 in Antwerpen geborenen Eric Anderson wurden zwei Relikte einer verflossenen Performance mit Titel „opus 14467“ (die Postleitzahl der Potsdamer Innenstadt) erworben, so kommen wenigstens zwei alte Stofftaschen zu Ehren, dann aber auch ein größeres: „The Nine Minds, Last Update 2003“ ist eine raffinierte Konstruktion für die Erforschung von Ton und Gemütsverfassung: Zu „verwirrt, optimistisch, verliebt“ etwa werden passende oder unpassende Tonkonserven gereicht – Guten Appetit, dann. Von Ann Noel stammen vier farbige Digitaldrucke mit dem ironischen Titel „Weil wir es uns wert sind“, dazu ein Schminktischchen mit altem Verschönerungszeug der Künstlerin, das Original, zur Zeit noch nicht ranzig. Witzig, diese Fluxis!

Am Abend dann die feierliche Enthüllung von „The Ten Commandments“ aus dem Jahr 2008 an der Außenwand zum Innenhof. Der in Berlin lebende Italiener Constantino Ciervo schuf zur Verdeutlichung der neuglobalen Marktsituation eine Wettläufer-Silhouette aus Stahlblech, umringt von den neuen, aktuellen Regeln der Zeit: Arbeit, Respekt, Autorität, Opferbereitschaft, Konkurrenz, Erziehung und Markt sind einige der neugeschaffenen „Zehn Gebote“, eigentlich Satire und Blasphemie in einem. Sie strahlen dem Zuschauer in zeitgenössischem Neonlicht entgegen. Ob das fahle Schriftwerk wohl auch auf den Neubau bezogen ist?

Fluxus-Werke, so Heinrich Liman, gehören ja „eigentlich“ gar nicht in ein Museum. Wenn es aber um den Wettlauf mit der Zeit geht, darin alles fließt und zerfließt, jede Form verwischt, jeder Wert zur Frage wird, alles Innere ver- und entäußert, dann ist die Installation am rechten Fleck, also günstig geparkt und bereit, auch andere „Gebote“ entgegenzunehmen: Ordnung, Belohnung, Verdienst. Gerold Paul

Gerold Paul

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